MEINUNGEN UND BRÄUCHE IM PUSTERTAL


1. KRÖTEN UND ARME SEELEN

Eine 60jährige Frau, geboren in Pfalzen ob Bruneck, erzählt, daß ihre Großmutter die Kinder immer gewarnt habe, die großen Kröten zu peinigen oder umzubringen, denn das seien Arme Seelen, die ihre Sünden nicht genugsam abgebüßt haben und deshalb noch auf der Welt herumirren müssen. Es ist das eine ganz sonderbare Sache und erinnert fast an eine Art Seelenwanderung, wie sie bei den primitiven Völkern heute noch geglaubt wird.

Diese Voliksmeinung ist über ganz Tirol verbreitet. Nach Heyl (Volkssagen, S. 789) sagen die Bauern am Ritten, wenn man die Kröten recht „hummen" hört: „Heut jammern wieder einmal die Armen Seelen recht." Ig. Zingerle schreibt in seinem Buch „Sitten, Bräuche und Meinungen", S. 75: Die großen Kröten, Hottlen oder Höppinnen genannt, sind Arme Seelen oder verwunschene Leute. — Am ausführlichsten findet sich hierüber berichtet im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" von Bächtold-Stäubli, V, 612: Kröten dürfen nicht gequält und getötet, ja nicht einmal beleidigt werden, weil man in ihnen Arme Seelen vermutet (Westböhmen). Namentlich in den Alpenländern sieht man in Kröten Arme Seelen, die in dieser Gestalt eine Sündenschuld abbüßen müssen. Deshalb schaut man sie mit Grauen und Mitleid an und tut ihnen aus Barmherzigkeit gegen die Armen Seelen kein Leid an, warnt auch die Kinder streng davor, ihnen etwas zuleide zu tun, denn sie würden sich an einer Armen Seele schwer versündigen und einst in ähnlicher Lage keine Barmherzigkeit finden.

Anderwärts aber galten die Kröten als Hexen, welche die Kraft haben, Krankheiten an sich zu ziehen (s. Zingerle, Sagen, S. 105). Deshalb wenden die sogenannten „30er-Kroten", gefangen zwischen 15. August und 8. September, getötet und gedörrt, das soll schützen gegen Zauber (so im Inntal, Außerfern, Meran, Tramin). Am Allerseelentag soll man nach Zingerle (ebd., S. 829) nicht Frösche und Kröten töten, weil Arme Seelen darin sind (so in Telfs).

Nach V. Geramb (Deutsches Brauchtum in Oesterreich, S. 47) gelten die Kröten im Volksglauben als Hexen, die die Eigenschaft haben, alle Gifte an sich zu ziehen. In der Steiermark (Wagersdorf) waren Pfingstumzüge volksbräuchlich, bei denen der „Krotenstecher" mit Helm, Schild und Spieß, auf dem tote Frösche und Kröten aufgesteckt waren, hoch zu Roß, eine große Rolle spielte. Er warf die toten Kröten unter die Zuschauer. Man wollte damit den Hexen etwas Übles, den Beworfenen etwas Gutes antun, indem man die ersteren tötete und den letzteren Krankheitsgifte entzog.


2. DONNERSTAG - HEXENPFINSTAG

Dieselbe Frau aus Pfalzen erzählt, in ihrer Heimat habe man gesagt, daß sich am Donnerstag die Weiberleut nicht zopfen sollen. An diesem Tage hätten die Hexen Gewalt, Wetter zu machen und um jedes Haar, das sie finden, ein Hagelkorn zu 'bilden; daher soll es an Donnerstagen, oft arge Wetter mit Schauer geben. S. dazu Heyl, Volkssagen, S. 581: „der Pfinztag, der Tag der Hexen", und S. 800: Weiberhaar, Kehricht, Steine und Glockspeise von einer geweihten Glocke, in ein Wasser geworfen, verursachen Hexenwetter. Um es wieder zu vertreiben, muß man ein Chrisamhemdlein auf den Zaun hängen.


3. BAUMWECKEN IM PUSTERTAL

Nach derselben Quelle ist es in Pfalzen Brauch, daß die Kinder am Karsamstag, während die Glocken nach ihrer Rückkunft von der Weihe in Rom beim Gloria wieder zum ersten Male geläutet werden, im Garten von einem Baum zum anderen laufen, mit Stöcken auf den Stamm klopfen und den Baum „wecken", auf daß er bald erwache, blühe und viel Früchte bringe. Ähnliche Frühlingsbräuche des Baumweckens durch Kinder werden von vielen deutschen Gauen erzählt.

(Für Literaturhinweise bin ich zu Dank verpflichtet den Herren Prof. H. Wopfner, Hofrat V. Geramb, Dr. H. Hochenegg und H. Waschgler.)

Nachträglich erhalte ich aus Rodeneck von Frau Ludwina Rauchegger die Mitteilung, daß auch dort die Volksmeinung bekannt sei, daß Kröten Arme Seelen seien und man ihnen nichts zuleide tun darf.

Ebenso darf man nicht einen Rechen mit den Zähnen aufwärts liegen lassen, sonst müssen die Armen Seelen darauf sitzen.

Ein Brot darf man nicht verkehrt liegen lassen, sonst müssen die Armen Seelen büßen.

Der Armeseelenglaube tritt demnach auch dort in verschiedener Gestaltung auf.


Quelle: Ig. Mader, Meinungen und Bräuche im Pustertal
in: Der Schlern, Zeitschrift für Heimat- und Volkskunde, Mai 1951, S. 233 f.