SCHNEEBERG IN PASSEIER

Die Erzgruben am Schneeberg wurden schon zu Anfang des 15. Jahrhunderts eröffnet, denn Anno 1450 zählte man daselbst bereits 50 alte und 19 neu eröffnete Gruben mit über 100 verlegenen Bauen.

Nach der Sage schreibt man diesem hochgelegenen (2450 m) Bergbau in ewiger Eis- und Gletscher-Region folgende Entdeckungsgeschichte zu. Einst zog ein wilder Jäger aus dem Passeiertale nach dem Schwarzsee ob Rabenstein, um auf Gemswild und Steinböcke zu jagen. Als er einsam zu Seemoos auf einem Felsblocke ruhend die umliegenden Grate nach dem Wilde abäugte, sah er plötzlich am Ufer des stillen Bergsees eine holde Frauengestalt sitzen, angetan mit langem, wallendem, silberschimmerndem Kleide, so weiß und glänzend wie die umliegenden Firne, und mit goldglitzerndem Geschmeide an Hals und Armen.

Die winkte den Jäger gar freundlich zu sich und zeigte ihm funkelndes Edelgestein - wie Karfunkel leuchtende Granaten, diamantglänzende Kristalle und in allen Farben schillerndes Erzgestein - das in ihrem Schoße lag. All die Schätze wollte sie dem Jäger geben und deren Fundstellen zeigen, wenn er ihr verspreche: abzulassen von der weiteren Verfolgung des unter ihrem Schutze stehenden Wildes! Die Frau forderte, daß er seine Armbrust vor ihren Augen zerbreche und bei den hellleuchtenden Strahlen der Sonne gelobe, fürderhin von der Jagd abzulassen!

Von Habsucht beseelt, zerschmetterte der Jäger seine Armbrust am Felsgestein und leistete den begehrten Schwur, worauf er die Taschen mit dem wertvollen Edelgestein füllte. Die holde Frauengestalt zeigte sodann dem Jäger an den aus den Firnen hervorragenden Felsriffen Spalten voll edlen reichen Silbererzes, innig verwachsen mit rubinroten, glitzernden Granaten und diamantglänzenden Kristallen. Sie drohte ihm aber auch mit schwerer Strafe, wenn er seinen Schwur brechen würde - und ebenso plötzlich war die Frau dem Auge des Jägers entschwunden!

Bald zogen mit dem Jäger emsige Knappen auf die unwirtlichen Bergeshöhen, und die stille Bergeinsamkeit ertönte vom lauten Hammerschlage der nach den Schätzen lüsternen Knappen. Stollen um Stollen wurde eröffnet, und überall fand sich reiches Erz, das in schwerer Menge mit Schlitten und Sackzug zu Tal geschafft wurde. Während der strengen Wintermonate ruhte die Arbeit; sobald aber die Lawinen in den Bergen donnerten und der laue Föhn das Eis brach, zogen stets vermehrte Knappenscharen nach dem erzreichen Schneeberg, auf dem bald ein ganzes Dörflein mit einem dem hl. Martin geweihten Kirchlein erstand.

In den alten Tagen des Jägers erwachte jedoch wieder seine Jagdlust in unbezähmbarer Kraft; er verfertigte sich eine neue Armbrust mit starker Sehne und erlegte damit, uneingedenk des geleisteten Schwures, an einem Sonntag einen prächtigen Steinbock mit gewaltigem Gehörn. Doch die Strafe folgte auf dem Fuße: Ein Eisblock löste sich vom Firn und zermalmte den Frevler unter seinem Sturze, und als die Knappschaft des andern Tags zur Grube kam, fand sie kein Silbererz mehr, sondern bloß wertloses Blendegestein, das sich nicht schmelzen ließ.

Quelle: M. Isser in: Der Sammler, Beiträge zur tirolischen Heimatkunde. Hrsg. Franz Innerhofer, 5 Bände, Meran 1906/1911. Bd. I, 11/5-7