Der Struzer.

Der Struzer, Carl Jordan

Gerade wie man sich in den sogmannten "besseren Kreisen" auf die Saison der Bälle freut und für dieselbe eine fast fieberhafte Thätigkeit entfaltet, mit der

Schneiderin konferirt, mit Freundinnen berathet, damit um Gotteswillen auf dem Kränzchen bei X's nicht unharmonische Farben zusammen kommen, ja sogar ein gewisses Interesse für die Berichte des Friseurkongresses entfaltet, so freut sich der schlichte Passeirer "Struzer“ auf die Zeit der Meraner Fleischmärkte.

Unter Struzer versteht man in Meran jenen Bauern, meist aus dem Passeirer Thale, der nach einem alten "Gerechte" auf den drei Fleischmärkten Klein- und Großvieh ausschrotet. Es gibt jedoch auch Struzer, die in Meran vollständig ansässig sind und meist Kuh-, Schaf- und Kalbfleisch in Verkauf bringen.

Bei aller Mühe, Plage und Sorge sind die Fleischmärkte für ihn Tage der Freude und Erholung. Doch vor allen Dingen will ich den Leser den Struzer selbst vorstellen.

Ein kerniger, gesunder Bursche mit lebhaften, pfiffigen Augen, die Haare glatt in die Stirne gestrichen, steht er an seinem Fleischstande.

Die Weste ist, trotzdem sie unzählige Knöpfe zieren, Sommer und Winter offen und wenn auch der Wind eisig kalt unter das Hemd, welches meist über die Brust offen ist, bläst, das kümmert den abgehärteten Passeirer wenig.

Die ledernen Hosenträger halten derbe lodene Hosen, die nur bis etwas unter die Waden reichen. Dicke Strümpfe, an der Ferse meist mit einem Lederfleck besetzt, "weil die Schüachlar soufl schnôppm", schauen darunter hervor, und was der Passeirer "Schüachlar" nennt, sind schon ein Paar "Treter" und Gnade Gott den Hühneraugen der "Stadtlinger" auf dem Markte.

Seine Spezialität ist aber ein möglichst kleiner Hut mit schwarzer Schnur und silberner Quaste, den er sich bei windigem Wetter mit einem Band unter dem Kinn festbindet.

Wird ihm der Hut dennoch vom Winde entführt, lauft er demselben in langen Sätzen, ohne die bis an den Ellbogen in den Hosentaschen steckenden Arme herauszuziehen, nach, tritt vorerst, um den Flüchtling sicher zu haben, mit seinem Fuß darauf, schlägt ihn dann mit einem kräftigen "saggera nou a môl ini" einige Male um das Knie, den Staub zu entfernen, nimmt nun aber die Bänder für alle Fälle zwischen die Zähne und wandelt mit weiten, hochgezogenen Schritten, die hat er sich beim Bergsteigen angewöhnt, seines Weges.

Schon eine Woche vor Beginn des Marktes treiben die Burschen die "Schafler" in die Stadt, oder, wie er sich eigentlich ausdrückt, "af 's Lônd" (in das ebene Land).

Es ist fast bewunderungswürdig, wie die Struzer mitten aus der großen Heerde, ohne die Thiere mit Zeichen versehen zu haben, ihre eigenen Schafe herauskennen.

Ich will hier aufrichtig gestehen, für mich war früher ein Schafsgesicht eben ein Schafsgesicht. Erst ein Hirte, der "Goaser Luisl" auf der Tallner Alpe, dessen besondere Protektion ich genoß, weil ich stundenlang seinen wunderlichen Hexengeschichten zuhörte und nie einen Zweifel äußerte, daß es Menschen gibt, die "'s Arz schmöckn" , (Edelmetalle finden), machte mich auf die verschiedenen Charaktere darunter aufmerksam.

"Sell muttelte, sell hoachnôsige und zelm drinn sell schiafgôschete Schôf keart mein", bemerkt der Hirte mit sicheren Blicken. Es gibt Schafe mit heitern und melancholischen, mit gütigen und strengen Gesichtern; meiner Seel! ich bitte den verehrten Leser nicht zu lachen, es ist wirklich so.

Ein guter, tüchtiger "Schäfer" erkennt die Angehörigkeit der Thiere [Tiere] mehr am Gesichte, als an sonstigen Zeichen, wenn es auch vorkommt, daß selbe mit "an Petschierwôchs" oder durch Einschnitte ins Ohr bezeichnet werden.

Mit lauten "Hôssa!" "Rutsch, tscha, tscha!" wird die Heerde durch die Stadt getrieben und der alte Leithammel am Schopf vorausgezogen. Selbstverständlich ist bei solchen Anlässen die liebe Schuljugend mitten darunter und bringt von dieser alpinen Beschäftigung meistens ein sehr ländliches Parfüm zum Mittagstisch.

In der Fleischbank wird die ganze Heerde in einen Stall hineingepfercht und mit sicherem Griff nimmt dann jeder Struzer seine Schafe heraus.

Und nun beginnt ein Morden, das jeder Beschreibung spottet und schon in das höchste Stadium der Thierquälerei gehört, besonders wenn Nachwuchs unter den Struzern vorhanden ist und "die Büabler 's Stechn und Ausziachn" lernen.

Endlich kommt der große Markttag heran.

Schon am Vorabend hat sich jeder Struzer seinen bestimmten Stand in der Laubengasse, der sich oft auf ganze Generationen vererbt, mit einer Bank oder dem Fleischrechen markirt.

Um das Recht dieser Stände entstehen nicht selten Streitigkeiten, die aber meist nur Wortgefechte bleiben,denn die Passeirer, wenn auch ein starker und schneidiger Menschenschlag, sind keine Raufer.

Am Markttag früh, der Tag hat kaum zu grauen begonnen, ziehen sie aus der Schlachtbank das Fleisch zu ihren Ständen und legen es möglichst vortheilhaft aus. Die Schafe sind mit allerlei Figuren an den Seiten eingeschnitten, verziert und sogar mit frischem Blut geschminkt. Durch kleine Holzstücke ist das Fett recht appetitlich herausgehoben.

Auf breiten Bänken liegt das Schweinefleisch, "der Speck" glattweg benannt. Die einzelnen Stücke sind möglichst vortheilhaft und dem Auge gefällig hergerichtet, so daß den umstehenden Bauernknechten förmlich das Wasser im Munde zusammenlauft und zur Bemerkung veranlaßt: "Sell war a feins Bröckl, mei Liaber, woast mit Kraut dünstet und a Halbele an Roatn derzua".

Die Schnellwage baumelt in der Mitte, die "Prax" und das Messer liegen auf einem kleinen Hackstock bereit, in der Brusttasche des Struzers steckt ein "Rechenfaul-lenzer" zur raschen und sicheren Berechnung der gewogenen Waare und nun kann die Geschichte angehen.

Vor allen Dingen stopft er sich sein Pfeifchen, dann verschwinden die halben Arme in den weiten Hosentaschen und die Beine schlägt er abwechselnd aneinander, um sich ein Bischen zu erwärmen. Doch da unten, scheint es, kommt eine Kundschaft.

Jede bäuerliche Kundschaft wird, um ihr zu schmeicheln, mit Bauer oder Bäuerin (gleichbedeutend mit Hofbesitzer), die städtische aber mit Meister oder Meisterin angesprochen.

"Guatn Môrget, Bäurin! Wôs thatn miar denn epper brauchn?" "A hôlbs Gsträundl, ha?" "I hatt schuu dô oubm uans hängn, 's ist freili schun hôlb in Verhoas, ôber wenns krôd sein muaß, will i 's schun wägn".

Der schon halb versprochene "Gstraun" ist nur eine Finte, denn nichts verlockt eine Bäuerin zum Einkauf so, als wie der Umstand, daß schon irgendwer ein Stück preiswürdig gefunden hat.

Und nun wird die Vorzüglichkeit des Fleisches hervorgehoben, das Gewicht abgeschätzt und der Preis vereinbart. Letzteres ist die schwierigste Aufgabe des ganzen Geschäfts. Es handelt sich wirklich nicht um die paar Kreuzer, sondern einzig nur darum, den von den Madatoren dieser Fleischbörse festgestellten Preis zu halten.

Der "Sixn Luis, 's Schweinsteger Jörgele und der Stulser Frieder" verkaufen auch nicht anders, entschuldigt sich der Struzer. Endlich ist der Abschluß zu Stande gekommen.

An der Wage hat aber der Struzer auch wieder seine Kniffe. Trotz des heftigsten Protestes der Bäuerin wiegt er einen halben Kopf und ein großes Stück Lunge mit.

"Mei, uhne Grind und uhne Lungl kannt 's Schafl nit lebm, schaugts, und 's Köpfl in der Gersta dinnen ist epper eppes Feins, und 's Lüngele thüats in Baur reastn af Hôlbmittôga".

Selbstverständlich sind viele der Struzer Dilettanten in der Kunst der Metzgerei, aber neidlos unterstützen sie sich gegenseitig.

"Jörgele, gea thua miar döchter dös Fackl a fezzele authoaln".

"'S Jörgele" rückt sich den Hut aufs Ohr, wischt sich mit dem Joppenärmel den Nasentropfen ab, klemmt die Zunge zwischen den Zähnen ein und theilt das Fleisch mehr oder minder kunstgerecht auf. Sorgfältig "peckt" er die Knochen ein, damit die Köchin mit der Auftheilung leichter zustande kommt und packt die Geschichte der Kundschaft "in Zögger".

Und nun kommt die Rechnung.

Ein alter Struzer braucht die Beihilfe des Rechenfaullenzers nicht. Der steckt die Hände in die Taschen, klopft mit dem linken Fuß an die rechte Wade, blickt gegen Himmel und ist die Rechnung recht schwierig, rückt er den Hut mit einem raschen Ruck vollständig aufs Ohr.

"Uanlaf (eilf) Kili warn holt, za zwoafufzig, fünf Gulden zwoa a siebezig, nôr warn hôlt nou zöchn Deki, mochts hôlt siebm a siebezig".

Mit seinen halb erfrorenen Händen sucht er in allen Taschen nach der Münze zum Herausgeben, die mit geweihten Pfenningen, Betenkrenzen, Hosenknöpfen u. vermengt ist.

Das Papiergeld birgt er aber in einer ledernen Brieftasche, die er immer in die Innentasche seiner Weste steckt.

Selbstverständlich kann er zur Mahlzeit seinen Fleischstand nicht verlassen. Da hat er dann ein bekanntes Haus, wo ihm "a Stückl a Fôckenes" gerichtet wird. Im Fette schwimmend wird ihm das Fleisch gebracht; er theilt es mit seinem blutigen Messer in große Würfel, vielleicht einen halben Zoll Fleisch und anderthalb Zoll Fett und ohne jeder Zuspeise oder Brot verschlingt er ein Stück, an dem sich eine nicht gerade ausgehungerte Familie sattessen könnte.

Ich sage, er verschlingt sein Fleisch, weil der Mann eilig essen muß, "sist gstockt ihm 's Foaßt in Teschgn."

Aus dem nächsten "Buschn" versorgt er sich mit Wein, und so lebt der Struzer, auf dessen Tisch wohl selten im Jahre Fleisch kommt, wie der Herrgott von Frankreich.

Die Zwischenpausen füllen die Leute mit allerlei derben Spässen aus, ohne jedoch vielleicht Jemand zu verletzen.

Das eigentliche Gaudium kommt aber erst am Abend, wenn der Tag gut oder schlecht vorüber ist.

Da sitzen die Struzer in einem Kaffeehause oder einem Weinschank zusammen und unterhalten sich mit allerlei lustigen Geschichten oder machen einen "Perlagger", bei welchem sie eine Kunst in der Mimik entfalten, die wirklich großartig ist.

Die schlechtesten Karten werden mit einem stillvergnügten Gesichte aufgenommen, um die Gegner zu täuschen und renommirt wird, als säße ein Tisch voll Berliner zusammen.

Da wird geblinzelt, bald mit dem linken, bald mit dem rechten Auge, das Zungenspitzl hervorgezeigt, mit zwei oder mehr Fingern auf den Tisch getrommelt u. s. w.

Und dies sind alles wohlverstandene Zeichen und Andeutungen unter den Partnern.

Andere imitiren wieder ein Wortgefecht darüber, wer mehr Geld in der Tasche hat und überbieten sich in hämischen und scharfen Bemerkungen.

Meist aber ist die Geschichte nur darauf angelegt, um einen Dritten in das Gefecht zu verwickeln, besonders "an Stadtlinger" daran zu kriegen, der in der Meinung zu foppen, immer zum Schluß der Gefoppte ist.

Auch einem galanten Abenteuer gehen die "Mander" nicht aus dem Wege und sind in dieser Richtung Geschichten vorgefallen, die den hochwürdigen Herren, welche von der Kanzel herunter gegen den Fremdenverkehr im Lande donnern, weil diese ungläubigen Ketzer unsere frommen Einwohner verderben, nicht bekannt sein müssen, sonst würden sie den frommen Belehrungen eine andere Richtung geben.

Und ist nun die Marktzeit zu Ende, so "stellt er 's Zuig in", bedankt sich schön für "'s Kochn" und wandert vergnügten Sinnes wieder "in 's Pseir inchn" mit dem festen Vorsatz: "Teigl woast, af Kathrein kimm i wieder; fein ists gwesn."

Quelle: Der Burggräfler, Bilder aus dem Volksleben, Karl Wolf, Innsbruck 1890, S. 131ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, März 2006.
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