Wetterherren

Begreiflicherweise naht man sich solchen „Herren" nicht mit dem Gefühle traulicher Zuneigung, sondern mehr mit dem einer fürchtenden Untertänigkeit. Da waltet nicht das gemütlichere Einvernehmen wie etwa zum Viehpatron, nicht das herzinständige Bitten wie zu einem Helfer in häuslichen Nöten und Drangsalen, nein, diesen „Herren" glaubt man mit Massenaufgebot kommen zu müssen, sie durch jährliche, große Bitt-Prozessionen günstig stimmen zu sollen; man errichtet ihnen Kapellen in ihren Wetterwinkeln und auf sturmumtobten Höhen, Johann und Paul (26. Juni) sind noch etwas gelindere „Herren" und stehen besonders im Burggrafenamte in Ansehen. lhr Heiligtum steht am Fuße des Hinteren hirzer, wohin die Schennaner und Haflinger gemeinsam pilgern. An diesem Tage soll man nicht arbeiten, zumindest nicht im Heu.

Ihnen folgen am 29. Juni Peter und Paul. Letzterer tritt weniger hervor, aber vom Petrus ist es ja in aller Welt bekannt, daß er das Wetter macht und bei uns gilt er außerdem als Herr über Donner und Blitz. Wenn es donnert, sagt man: Petrus tut Kegel schieben. Überhaupt spricht man hierzulande von der Donnerkugel und im Burggrafenamte erschlägt einen nicht der Blitz, sondern der Donner. Petrus gilt als christlicher Vertreter des alten Gewittergottes Donar. Ihm sind auch die ältesten Kirchen geweiht, meist an Stelle früherer heidnischer Kultstätten.

Der gefürchtetste Wetterherr ist Sankt Oswald (5. August). Der hl. Oswald (186) war ein christlicher König im Etschlande. Er wurde von den Heiden seines Thrones beraubt, flüchtete sich zum Ifinger hinauf und wohnte dort bis zu feinem Tode. Solange er regiert hatte, waren die guten Zeiten, in denen es nicht Hunger noch Teuerung, weder Krieg noch Pest gab; Äcker, Felder und Wiesen trugen soviel, daß selbst der Arme mehr als genug hatte und das tägliche Brot nicht sauer zu verdienen brauchte.

Mancher Leser wird bereits den überraschenden Anklang an die Schilderung des goldenen Zeitalters der Griechen und Römer entdeckt haben. Der Ifinger hat zwei Spitzen, zwischen denen in der Vorzeit (187) ein heidnischer Tempel gestanden haben soll, der dem Odin (Wuotan) geweiht war. Er war der höchste Gott, auch über die Gewitter, und Raben umzogen sein Haupt: Oswald hat auf dem Ifinger eine Kapelle, ist der mächtigste Wetterherr und war stets von zwei Raben begleitet.

Der Name des Berges deutet auf uralte Tage zurück. Ivo war der gewaltige Bogenspanner, von dem auch die Eibe (Ive) ihren Namen erhielt, deren Äste das zäheste Holz für Pfeilbögen lieferte.

Wir schauten nun schon vielfach in Spiegelbilder des Altertums, der Heidenzeit und ältester Vergangenheit, die freilich etwas verzerrt erscheinen durch die Wandlung zum Christentume. Papst Gregor der Große schrieb um 601: „Zerstört den Leuten nicht ihre heidnischen Tempel, sondern verwandelt sie in christliche Kirchen, damit das Volk, das daran gewöhnt ist, die hergebrachte Verehrung auf das christliche Gotteshaus übertrage. Die heidnischen Feste und Opferschmäuse aber wandelt in fromme Festessen und zu Ehren von kirchlichen Heiligen um."

Der Name Ifinger und Pifinger findet noch eine andere Erklärung: Bekanntlich ist der Berg in den „großen" und „kleinen" Ifinger geteilt. Der große ist einheitlich, ungespalten, also lateinisch: infidus; der kleine ist zweigespalten, also: bifidus.

Dritte denken an Jovinus und Bijovinus, womit der Kreis insoferne geschlossen würde, daß der Berg einstmals einem höchsten Gotte geweiht war. Wer sich aber der Namensforschung geweiht hat, gerät von der Pifinger Alm auf mittelhochdeutschen Boden: bivanc bedeutet das Umfangene, einen Bezirk. Tatsächlich gab es 1519 ein Gut zu Pifang. Durch Abfall des Anlautes ist aus Pifing der Ifinger geworden.

Über die Entstehung der Oswald-Kapelle am Rücken des Ifingers erzählt die Legende (188): In uralter Zeit ging der Holzwuchs noch viel weiter hinauf und war der Ort der Kapelle dicht von Alpenrosenstauden überwachsen. Darin fanden Hirten ein Bild des hl. Oswald. Sie trugen es in die Schennaner Pfarrkirche. Doch kaum war die Nacht angebrochen, stieg Oswald lichtstrahlend aus der geschlossenen Kirche empor und ritt dem Ifinger zu, wo man ihn wieder in den Alpenrosen fand. Dies wiederholte sich noch einige Male, bis man endlich mitten in den Alpenrosen eine Kapelle erbaute und das Bild dort unterbrachte. Die lieblichen Alpenblumen heißen noch heute bei den Haflingern „Oswaldstauden".

Eine andere Sage (189) jedoch berichtet: Vor alter Zeit lebte im Vinschgau ein Riese, der schon damals mit Marmor umzugehen wußte und mit großen Blöcken auf den Schultern sozusagen hausieren ging. Einst begegnete ihm ein vornehmer Herr und fragte, ob er nicht auf dem Ifinger ein Kirchlein bauen wolle, doch müsse er einen großen Block hinaufliefern. Abgemacht! Kaum waren sie eine Stunde bergan gegangen, entkam dem Riesen der Marmorklotz und rollte davon. Erzürnt schwur der Riese: „Wenn ich den Block nicht hinaufbringe, soll mein Hammer zeigen, was ich kann; das Kirchlein werd ich bauen!" Auch das zweite Mal kam er mit dem Marmelstein nicht ans Ziel. Darum stieg er mit dem Hammer allein zur Baustelle hinan, hieb mit ihm in die Ifingerwände, daß die Felsstücke flogen und war bald mit der Kapelle fertig. Dann stieg er auf die Spitze des Berges, schwang den gewaltigen Hammer und schleuderte ihn auf die andere Talseite. Er fand sein Werkzeug auf dem Vigiljoch und errichtete dort auch ein Kirchlein, wie es heute noch zu sehen ist.

Nebenbei bemerkt, scheinen die Riesen das Hammerwerfen in unserer Gegend als Sport betrieben zu haben, just wie den Kirchenbau.

Am Tscheggelberg [Der östlich der Etsch zwischen Bolzano/Bozen und Merano/Meran gelegene Bergrücken] nämlich errichtete ein solcher Longinus die Kirche St. Katharina in der Scharte (190), sein Kollege hielt sich beim Jocher auf, beschäftigt, dem hl. Vigilius ein Heiligtum zu bauen. Beide hatten aber nur einen Hammer, den sie abends einander überreichten, hatte der eine mit dem Hammer einen Tag gearbeitet, warf er ihn über das Etschtal weg dem anderen zu, der auch einen Tag damit arbeitete und ihn abends wieder zurückschleuderte. Genau dieselbe Geschichte (191) erzählt die Mär vom Kirchenbau in St. Katharina und Lavenn. Nur pfiff da ein Riese dem anderen, sobald er den Hammer brauchte. Diese zwei Riesen verschwanden spurlos aus der Gegend, während die anderen beiden beim Jocher gestorben sind, wo ihre Gebeine noch zu sehen sein sollen. Die heutige Oswaldkapelle am Rücken des Ifingers ist nicht die in den Sagen gemeinte. Diese kommt urkundlich erstmalig 1641 vor und wurde 1878 aufgelassen; dafür wurde eine halbe Stunde weiter unten das jetzige Kirchlein errichtet. Das Jahr 1641 ist auch derohalben denkwürdig, weil damals der weitum berüchtigte Schwarzkünstler Lauterfresser verbrannt wurde. Er war unter anderem überführt worden, daß er öfter beim „Junkbrunnen", der unweit der alten Oswaldkapelle entsprang, böse Wetter gemacht habe.

Der Junkbrunnen (192) sprudelte aus dem Granit des Ifingers und hatte erquickendes, eiskaltes Wasser; darum glaubte das Volk, daß die Quelle verjüngend wirke und überaus heilsam sei. Sie war aber auch als ein unheimliches Wasser gefürchtet: von ihm kommen alle Hagelwetter der Gegend, die von Zauberern und Hexen gemacht werden.

Um solche Gefahr zu bannen und zur Verehrung des mächtigen Wetterherrn ziehen die Schennaner und Haflinger um Maria Schnee am 5. August, der gleichzeitig Tag des hl. Oswald ist, in Prozession zur Kapelle, wo Predigt und Messe gehalten wird. Die Hirten der umliegenden Almen stellen sich auf der „Röt" (die roten Sandsteinfelsen im Hintergründe des Naiftales) mit ihren langen, kräftig schnalzenden Geißeln auf und schnöllen, daß man es oft bis ins Tal hört. Oswald sieht streng darauf, daß ihm die gestiftete jährliche Verehrung zuteil werde, denn „Kindern und Heiligen muß man Versprochenes halten, sonst kommen sie und mahnen einenl" Die „Mahnungen" Oswalds aber sind sehr unerquicklich. Dies haben die Haflinger erfahren (193): Zwei Jahre hintereinander unterließen sie die verlobte Prozession; da schlug ihnen der Heilige das ganze Getreide in Grund und Boden hinein, daß die „Hessen" fast verhungert wären. So werden nämlich die Haflinger von den Meranern genannt, nicht etwa, weil sie von dem deutschen Stamme der Hessen abstammen, sondern weil sie mit dem Zurufe: „Heß — Heß!" das Zugvieh zum Halten oder Rückwärtsgehen zwingen.

Daß man den Wetterherrn Oswald mit dem Ifinger in Zusammenhang bringt, mag auch noch seine Ursache in der drohenden Haltung der wildzerklüfteten, trutzig aufgerichteten Spitze liegen, in den vielen Ausbrüchen der Naif nach schweren Hagelschlägen, in der Erfahrung, daß der Ifinger ein böser Wetterwinkel ist. Wenn sich dunkle Wolken um sein Haupt sammeln wie schwarze, Unheil bedeutende Raben, brauen sich da oben „schieche Wetter" zusammen. Auch dies hat das Volk in eine Sage (194) zu kleiden verstanden:

Der Sulfner Bauer hatte ein rosiges Töchterlein, das schönste Maidlein des ganzen Tscheggelberges. Kam eines Tages ein feiner Kaufherrnsohn aus der Stadt unten den mühsamen Weg hinaufgestiegen, nahm beim Sulfner Atzung, sah das Mädchen und - spürte von selbiger Stund an keine Beschwernis des steilen Weges mehr, den er nun schier täglich ging. Lange pflegten die beiden heimliche Liebe. Dann kam die Zeit, wo dem Stadtherrn der Weg anhub immer beschwerlicher zu dünken und allzu steinig und man den Füßen längere Rast gönnen mußte, zumal sie nun Freiersfüße geworden um eines Patriziers Tochter.

Dieweilen in der Stadt also ein güldenes Seil gedreht und geknüpft wurde, verblaßte oben am Berge ein schlichtes, rotes Bändlein, zerfaserte und riß. Des Sulfners Maidlein verkümmerte eines frühzeitigen Todes.

Jetzt sieht man sie geisterhaft an einem Felshange sitzen, das bleiche Haupt in die Hände gestützt, und lange, lange mit wehmutsvoller Trauer auf die Stadt hernieder blicken.

Wenn sie sich erhebt, spielt der Wind in ihrem Kleide, hebt sie über Berg und Tal bis zur Spitze des Ifingers, den ihre Schleier wie leichtes Gewölk umschweben. Die Städter deuten es als Zeichen nahenden Gewitters. Und wirklich: die Schleier verdichten sich, ballen sich zusammen, dunkeln in die Schwärze eines Trauerflors und nicht selten müssen die Meraner die Treulosigkeit eines der ihren büßen unter Blitz und Schlossen.

Ein Wetterherr milderer Qualität, der sich nicht mit Hagelkörnern abgibt, sondern sich nur auf Regengüsse verlegt, die ihn allerdings durch ihre Dauer gefürchtet werden lassen, ist der uns schon bekannte Medardus (8. Juni), der durch einen vierzigtägigen Regen die ganze Heuernte vernichten kann.

Ein windiger Patron ist Gregor (12. März); den man auch noch unter die Wetterherren rechnet. Er ist nicht so unwichtig, wenn man des Bauernspruches gedenkt:

„Der Wind regiert das Wetter."

Und: „Gregoriwind
Geht, bis Georgi kimmt."

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano/Bozen 1933, S. 176ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Dezember 2005.
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