Geburt und Taufe

Am Karsamstag erfolgt auch die Weihe des Taufwassers.

Die Taufe ist die "Pforte zu den Herrlichkeiten des Lichtes der Welt."

Die Bäuerin oder eine weibliche Vertrauensperson paßt schon mit einer Flasche, um aus dem Becken frischgeweihtes Taufwasser mit heimnehmen zu können. Es vermag ja niemand stärker als eine gläubige Mutter von der reinigenden Kraft des Taufwassers überzeugt und erfüllt zu sein, eine Mutter, die ihr Kind nach langem Werden, nach den Fährlichkeiten der Geburt erst durch die Taufe zu einem Christenmenschen geworden sieht.

Bei diesem Kapitel wollen wir etwas verweilen. Von jener Zeit, da man noch nicht persönlich vorhanden war, pflegt man bei uns zu sagen: „Wie ich noch mit den Mücken geflogen bin." Bessere Leute sind natürlich mit den „Schmetterlingen" geflogen. Oder manche belehren allzu wißbegierige Kinder, daß sie auf den Bäumen der Mut gewachsen und von der Hebamme ins Tal geholt worden seien oder aus hohlen Wurzelstöcken.

Wird es im Dorfe bekannt, daß ein Weib gesegnete Zeiten erlebt, dann hat's auf diesem Hofe „eingeschlagen" und bei der Bäuerin „geht es auf Maria Heimsuchung".

Dann kommen Nachbarinnen, Gevatterinnen, Tanten und erschöpfen weitbauchige Schalen mit Kaffee und sich selber mit Ratschlägen und Wohlmeinungen: Die hoffnungsvolle Bäuerin soll „in der Nüchter" etwas Branntwein trinken, das macht dem Kind gelockte Haare oder eine schöne weiße Hautfarbe. Sieht sie einen schwerbeladenen Wagen, an dem die Tiere eben anziehen wollen, soll sie in Gedanken mitschieben, das macht starke Kinder. Nie darf sie über etwas steigen, was am Boden in einem Kreuz liegt, sonst gibt es eine schwere Stunde. Sie muß achtgeben vor Kröten und sonstigem Erschrecken, sonst kriegt das Kind Muttermale. Muß sie sich „an Glust" (Gelüste) versagen, weil das Gewünschte nicht zu bekommen ist, soll sie dreimal vor die Haustüre spucken und sagen:

"Glust nach Gottesgab'
Macht der Frucht kein Schad'."

Ist die Geburt im Gange, heißt es im Dorfe: "Beim X-Bauer ist der Ofen eingebrochen" und die Bäuerin ist "nach Rom gewallfahrtet."

Hans Matscher, Taufe

Dem Neugeborenen soll man gleich etwas Geweihtes umhängen, sonst kann es leicht verhext werden.

Das erste verunreinigte Windele soll man unter einem Kirschbaum eingraben, dann hat das Kind immer Glück.

Über Kinderwäsche, die nach dem Abendläuten noch im Freien hängt, bekommen böse Leute und Hexen
Gewalt und können dem Kinde schaden.

In das Schnullflaschl (Saugfläschchen) tue ein Tröpfl Dreikinigwasser, dann kann das Kind von keiner Hexe mehr verschaut oder verwünscht werden.

Hat das Kleine zwei Haarwirbel, so wird es ein kluger Mensch.

Man darf nie die Wiege leer schaukeln, sonst stiehlt man dem Kinde den Schlaf oder es stirbt bald.

Einem Bettnässerle mußt' eine gebratene Maus zu essen geben.

Gibt man einem Wickelkind Branntwein, wächst es nicht mehr.

Ist's ein recht sieriger [übelgelaunt] Schreier, dann setz' den Balg einmal mit „blekaten Hintern" auf einen kalten Stein und du wirst Ruh' haben.

Eine Sonntagsgeburt ist ein Glückskind; eine Freitagsgeburt hat im Leben viel zu leiden.

Speibete Kinder, bleibete Kinder [am Leben bleibende]

Gedeihen in einem Jahre die Nüsse gut, gibt's viel Buben ab.

Kind und Wöchnerin dürfen nie allein gelassen werden, schon gar nicht nach dem Ave-Maria-Läuten und während der Nacht.

Zur Taufe braucht man einen Paten oder eine Patin, d. h. einen Göt oder eine Gotel. Diese finden sich mit dem Täufling, der Hebamme, dem glücklichen Vater und der um Lichtmeß geweihten Kerze in der Kirche ein.

Während des Ganges dahin soll daheim die Sonne in die Wiege scheinen, dann wird das Kind nicht mondsüchtig.

Möchte die Mutter, daß der Neugeborene einst ein Geistlicher werde, muß die Hebamme bei der Taufe die Kopfwindel recht weit zurückschlagen, damit der Säugling sich in der Kirche gut umschauen kann.

Wer das Kind von der Taufe heimträgt, darf ja nicht auf kreuzweise übereinander liegende Hölzchen treten, sonst wächst es nicht.

Kommt man mit dem Neugetauften in die Stube, muß mindestens ein Fenster aufgemacht werden, damit der Teufel, der immer unter der Wiege gekauert und gelauert hat, „ban Loch aus kann", wenn er vom Engel vertrieben wird.

Seit der Taufe nämlich hat das Kind einen eigenen Schutzengel, der immer zu Häupten des Kleinen wacht; darum soll man sich nie an das Kopfende der Wiege stellen.

Auch aus dem anderen Grunde nicht, weil das Kind sonst schielen lernt.

Ist's Erste "lei a Madele", soll die junge Mutter ihm etliche Härchen abschneiden, fein zerbröseln und bei Vollmond dem Bauer in der Suppe zu essen geben: 's Nächste wird sicher ein Bub. Göt oder Gotel stecken dem Kind ein Geschenk, "'s Fatschengeld", in die Wiege. Auch die Hebamme kommt nicht zu kurz.

In den folgenden Tagen rücken die Verwandten und Nachbarsleute auf Besuch an und bringen der Wöchnerin allerhand kräftigende Gaben: Butter, Eier, Hennen, Brot, Fleisch. Dies nennt man: "In's Weisat geh'n." Wer bei der Hochzeit geladen war, ist zum "Weisatgeben" verpflichtet.

Der erste Ausgang der Wöchnerin führt stets in die Kirche, wo sie der Pfarrer "aufsegnet", früher fagte man „fürsegnen". Ein Weib (100), das vorher einen anderen Weg für wichtiger hielt, verschwand spurlos.

Das schöne Wort: Kindersegen hat auf dem Lande noch seine volle Bedeutung. Man betrachtet die Kinder als Geschenke Gottes, der sie gibt und manchmal freilich wieder zu sich nimmt. Für eine Bäuerin kann es kaum ein ärgeres Unglück geben als Kinderlosigkeit und es werden alle Mittel versucht, um den Segen zu erzwingen: die Anrufung des hl. Egidius, der gut ist gegen Unfruchtbarkeit, Wallfahrten dahin und dorthin und die verschiedenen "Frauenbäder", so z. B. das Bad Salomonsbrunn im Antholzer Tale. Dahinter ist ein Weiher, in dem sich etliche Fische herumtreiben. Die auf Wirkung des Badewassers hoffenden Frauen stehen am Uferrande, starren in die Lacke und ein glückliches Lächeln überzieht ihr Gesicht, wenn sich ein oder mehrere Fische haben erblicken lassen; denn deren Zahl entspricht den künftig zu erwartenden Kindern.

Sind diese "aus dem Ärgsten heraus", wie man hier sagt, und fangen sie an, Zähne zu machen, gibt man ihnen einen beinernen Löffel zu nagen; aber etwa ja keinen Muslöffel, weil das Kind sonst sein Lebtag "muset" redet.

Kinder, die alles mit der Linken anfassen, werden tückische Leute, weil Judas den Geldbeutel mit den dreißig Silberlingen in der Linken hielt. Wenn die "Fratzen" Ekel vor gewissen Speisen haben, kocht die Mutter darin einen geweihten Pfennig, der „den Grausen" herauszieht. Kinder darf man mit dem Besen nicht ankehren, sonst wachsen sie nicht mehr.

Spielen kranke Kinder mit Geld, dann genesen sie; wenn aber mit Blumen, sterben sie.

Ein Kind, zuerst im Zeichen des Widders geschoren, wird "tschurlet" (kraushaarig).

Natürlich kommt im Weinlande auch einmal der Tag, wo das Kind zum erstenmale Wein trinkt; dies Ereignis soll nicht an einem Vollmondtage geschehen, sonst wird es ein Saufaus.

Die Kindererziehung ruht mehr in der "Hand" der Mutter, leitet sich übrigens in einem Hofe, wo Sitten, religiöse Gebräuche und Gebete seit Jahrhunderten ihren geregelten Gang haben, von selbst. Der Klaubauf kommt ja auch alle Jahre einmal nachfragen und läßt gerne eine Birkenrute zu heilsamer Mahnung zurück. Schlimmsten Falles werden einige „saftige Tachteln" des Vaters in das Erziehungsprogramm aufgenommen. Die Abschreckung mit bösen Hexen, wilden Männern und dem Teufel [„Gangger“] nebst Beispielen ihrer Einwirkung läuft nebenher.

Auf dem Kircherhofe (101) hatte ein Bauer reichlichen Kindersegen; doch der jüngste, das war ein ausgemachter Hallodri, ein Gassen- und Spitzbub, der Mensch und Vieh nicht in Ruhe ließ. Vergebens ermahnte die Mutter den verflixten Hiasl, braver zu werden und abends nach dem Ave-Maria-Läuten nicht mehr auf der Gasse herumzutollen, da es ihm sonst schlecht ergehen könnte. Alles umsonst! Als der Bub sich wieder einmal ums Nachten auf der Gasse aufhielt, kam ein kleiner Bock daher. Hiasl, in seinem Mutwillen nicht faul, schwang sich hinauf. Da schwoll das Tier an und trabte mit dem Kind gegen St. Peter hinan. Die Kirchermutter sah den Buben gerade noch über den Huber-Ried reiten, nahm Weihbrunn und Rosenkranz und lief, alle Heiligen anrufend, hinterdrein. Bei der ersten Station des Kapellensteiges fand sie den Buben am steilen Absturz an einer Dornhecke hangen und holte ihn mit eigener Lebensgefahr heraus. Vom Huber-Riedweg konnte der Bock nicht mehr weiter laufen, warf die Last ab und verschwand: die Macht des Gebetes der Mutter! Ein Schennaner Bauer (102) hatte aus erster Ehe eine leichtfertige, flüchtige Tochter, der die zweite Frau etwas mehr auf die Finger sah. Die strengere Zucht gefiel dem Mädel nicht und sie verdingte sich gegen der Eltern Willen zu einem Verdinser Bauern als Magd. Ihre Angehörigen besuchte sie nie mehr, selbst als die Stiefmutter schwer erkrankte und sie rufen ließ. Lachend nahm das Mädel den Graskorb und ging mit ihrer Kameradin in den Wald. Als sie dort einige Zeit Gras gemacht hatten, sagte plötzlich die ungehorsame Tochter: „Jetzt hab' ich die Stiefmutter rufen hören; aber die kann lang warten!" So ging es dreimal. Dann sichelten sie weiter die Halme ab; doch als die Begleiterin einmal von ihrer Arbeit aufschaute, lag wohl Korb und Sichel am Boden, allein von der jungen Schennanerin war weitum nichts zu sehen und sie blieb entführt für immer. Jetzt steht eine kleine Kapelle dort.

Anderseits soll man den Kindern allerlei Schrecknisse oder gar den Teufel nicht allzu grell an die Wand malen. Der ist nämlich imstande und macht Ernst (103). Eine Bäuerin, die leicht in Unmut geriet und dann die höllischen Geister öfter und kräftiger anrief als die himmlischen, hielt eines Abends ihr Kind, das in einemfort schrie, zum Fenster hinaus und schrie ebenfalls: "Wart', wenn du nit still bist, soll dich der Schwarze holen!" Da ward das Kind ihren Händen entrissen auf Nimmerwiedersehen. Eine Kindheitserinnerung an den „unsinnigenPfinztig" (letzten Donnerstag im Fasching) möge das Kapitel beschließen. Die Maiser Schuljugend "ennt ihn seit urdenklichen Zeiten als „Tinzeltag" (vom mittelhochdeutschen "dinzen" — ziehen, tanzen). Mit bekränzten Hüten kamen wir in die St. Georgenkirche zur Messe; dann schritten wir hintereinander zum "Opfer", d. h. zu einem vor dem Altare aufgestellten Tischchen und ließen eine Münze auf dem Metallteller niederfallen. Schon das war eine Freude, wenn ein "Sechser" hübsch klingelte, freilich Lärm machte ein "Schustertaler" (kupfernes Vierkreuzerstück) oder "Plall" mehr. Um 1 Uhr zogen wir paarweise, singend und jauchzend, hinter den bunten Seidenfahnen her, die meist in wehender Frühlingsluft flatterten, nach dem lieblichen St. Valentin. Zuerst machten wir dort dem Heiligen unseren Besuch, dann aber ging es im Valentinerhof mit verdoppeltem Eifer über Kuchen, Nüsse, Brot, Milch und Kaffee los. Alsbald begann im Garten das fröhliche Lärmen jagender, spielender Knaben. Die Besiedler der ersten Bankreihe in der Oberklasse hatten freilich auch eine höhere Aufgabe zu erfüllen und die anwesenden Gönner und Wohltäter durch Aufsagen von Gedichten und Danksagungen zu erfreuen. So um 4 Uhr herum war Aufbruch und Heimzug und ein schöner Jugendtag entschwunden.

Hans Matscher, Wiege

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 93ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, November 2005.
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