Purzinigele

Vor alter Zeit (69) lebte ein mächtiger Graf. Reichtum und Glück teilte er mit einer guten, schönen Frau, die er über alle Maßen liebte. Doch er liebte auch leidenschaftlich die Jagd und eines Tages geriet er, allzu hitzig einem Wilde nachsprengend, allein in einen finsteren Wald. Plötzlich stund vor ihm ein Nörggele, an dem das Längste der Bart war. Sein Zorn aber war haushoch, weil der Jäger in sein Gebiet eingedrungen war, und er grollte: "Lebend kommst du mir nicht aus dem Walde oder du mußt mir deine Frau lassen!"

Darob erschrak der Graf nicht wenig; denn er hatte schon oft von des Waldmännleins Stärke und Bosheit vernommen. Da nützte alle gräfliche Macht nichts. Drum verlegte er sich auf's Bitten und erweichte endlich den Norgg soweit, daß er sprach: "Dein Schicksal sei in die Hand deiner Frau gelegt. Wenn sie innerhalb eines Monats dreimal meinen Namen errät, soll sie wieder frei und dein sein …, sonst gehört sie mir!"

Er geleitete den Jäger durch den Wald bis an die Grenze seines Gebietes zu einer graubärtigen Tanne: „Diese ist neunmal so alt als die übrigen Bäume. Hier werde ich deine Frau erwarten. Dreimal kann sie unter dreimal raten! hältst du nicht Wort, wird es dir übel genug anschlagen!"

Also der Zwerg und verschwand.

Das war eine traurige Heimkehr von fröhlichem Gejaid. Die Gräfin hatte es ihrem Gemahle gleich aus den Augen gelesen, daß er nicht froh war wie sonst, wenn sie ihm heiter entgegeneilte, und sie bekam es alsbald heraus, was dem Grafen im Walde zugestoßen sei. Da ward sie bleich wie eine Leiche.Nun folgten gar traurige Wochen mit Weinen und Seufzen. Kein Jagdhorn blies mehr, kein 5änger sang in der Halle, die Gräfin saß sinnend im Erker, der Graf versank nachdenkend im Lehnstuhle seines Urahn, aber der Name des üblen Norgg fiel keinem ein und es waren schließlich nur mehr drei Tage vom Monate übrig.

Bis man die greisbärtige Tanne sah, geleitete der Graf sein Weib, dann ging sie allein zum Baume schweren Herzens wie noch nie. Das Nörggele, festlich in Grün und Rot gekleidet, wartete bereits in närrischer Freude, denn die Gräfin gefiel ihm gar wohl. Eilig sprach er: „Nun erratet meinen Namen!" Die Gräfin dachte, ein Waldmännlein werde am ehesten den Namen eines Baumes tragen und riet:

"Tanne, Fichte, Föhre."

Da lachte der Zwerg, daß es durch den Wald hilderte, voll Freude, daß die schöne Frau bald ihm gehören werde.

Trauriger als sie gekommen, kehrten die Gatten in das Schloß zurück.

Am nächsten Tage wiederholte sich das gleiche Spiel und mitten durch den jubilierenden Wald schritt die Gräfin mit Tränen in den Augen zur Tanne. Da kam auch schon das Waldmännlein, heute gar schön blau und rot gewandet und lachte: „Nun erratet meinen Namen!" Die Gräfin riet:

"Hafer, Plenten, Türken")*!"
*) Plenten = Heidekorn, Türken = Mais

Da grinste der Zwerg über das ganze faltige Gesicht: "Ei, Frau Gräfin, morgen muß es besser gehen, sonst gibt es Hochzeit mit mir!"

Schadenfroh lächelte er hinter der Frau drein, als sie tiefgesenkten Hauptes davonschlich. Auf dem Schlosse verging der Tag in Wehmut und es kam die letzte Nacht, so dunkel und schwer wie noch keine. Als der Morgen andämmerte, knieten die unglücklichen Gatten in der Burgkapelle und beteten inständigst. Dann wanderten sie hinaus in den frühen Tag, in den morgenstillen Wald, wo nur die Bächlein rieselten und leiser Wind in den Zweigen lispelte. Es war friedsam wie in einer Kirche. Da ward die Gräfin gefaßter und ihr Herz schlug nicht in Bangen wie die früheren Male, als sie nach letztem Abschiede zur Tanne schritt. Das Nörggele war nicht da. Die Gräfin ging weiter, fand einen Steig mit Rosenzaun, geriet in ein Tälchen mit seltsamen Blumen, Reben und Feigenbäumchen an den Hügeln und gewahrte mitten im Felde ein nettes, zierliches Häuschen mit glitzernden Fensterchen; blauer Rauch wirbelte aus einem Kaminchen und von innen erklang ein Liedlein. Neugierig, Ach und Weh vergessend, schlich die Gräfin an ein Fenster und sah in einer allerliebsten Küche das Waldmännchen am Herde stehen, bald da, bald dort in einem Töpflein rührend, wozu es sang:

„Siede mein Hafele, plapper' mein Kraut,
Gut, daß die Gräfin nit weiß,
Daß i Purzinigele heiß."

Nun wußte die Gräfin freilich genug und eilte zur Tanne, wo sie vor Freude kaum die Ankunft des Nörggele erwarten konnte. Doch er kam bald, war heute gar bräutlich mit einem roten, golddurchwirkten Kleide angetan und blinzelte siegessicher die schöne Frau an: „Nun erratet meinen Namen!" „Pur", hob die Gräfin an und beobachtete den Zwerg, der verneinend den Kopf schüttelte. „Ziege", sprach sie weiter. Leise Röte überflog des Männleins Gesicht, was die Frau wohl gewahrte. „Purzinigele!!" rief sie freudelaut. Da rollte das Nörggele zornig die Augen, krampfte wütend die Fäuste, brummte und war in das Dickicht verschwunden.

Den Jubel, der den Grafen und die Gräfin, das Schloß und das ganze Land erfüllte, brauche ich euch nicht zu beschreiben. Noch viele Jahre lebten die zwei hartgeprüften als das glücklichste Paar, das man je gekannt.

Und das Purzinigele? O, das war so zornig, daß es auf und davon lief und seither nirgends mehr gesehen ward.

Das letzte Nörggele, das sich im Burggrafenamte sehen ließ, war Viehhirt bei einem Bauern am Partschinser Sonnenberge (70). Ihm war das Kleinvieh anvertraut. Es ist sonst der Brauch, daß der Hüter das Mittagsbrot in einer Hirtentasche mitnimmt. Weil das Männlein aber nie zum Hofe herunterkam, banden die Bauersleute das Essen einem Bock an die Hörner. Der Bauer bemerkte, wie das Gewand des kleinen Hirten im langen, treuen Dienste ganz schleißig wurde, und knüpfte einem Bocke ein Bündel neuer Kleider auf die Hörner. Als der Norgg den Bock so daherkommen sah, schrie er laut auf und verschwand. Wie gesagt, war er der letzte, den man in unserer Gegend noch gesehen hat.

Zum Kapitel „Ehhalten", und zwar zum weniger erfreulichen gehört noch die Arbeitsscheu mancher Dienstboten. Eine Magd auf Schloß Goyen (71) zählte die Arbeit zu den unangenehmsten Dingen auf dieser Welt. Das stinkfaule Mensch stahl dem lieben Gott den Tag weg und ihrer Herrschaft das Brot und ließ aus lauter Eifer für's Nichtstun viel Trank und Speise verkümmern. Als das Maß ihrer Sünden voll war, holte sie der Teufel und trug sie davon, schleppte auch als Beweismaterial einen großen Sack Brotstücke mit, die die faule Dirn hatte verderben und verschimmeln lassen. Solche Doppelbürde wurde dem Teufel zu gewichtig, so daß er auf einem Felsblock in einer Talwiese rasten mußte. Im Stein sieht man noch den Abdruck seines Schweifes.

***

Im Gegensatze dazu gibt es aber auch Herrenleute, die die Arbeitskraft ihrer Ehhalten [sic] über Gebühr ausnützen möchten und eingegangene Verpflichtungen nicht einhalten. Davon handelt die auch in unserer Gegend verbreitete Legende von der hl. Notburga (72). Diese fromme Magd hatte sich beim Dienstantritt ausbedungen, nach dem Feierabendläuten von der Arbeit ablassen und ihrer Andacht obliegen zu dürfen. Als einmal gerade ins schönste Kornschneiden hinein die Abendglocke tönte, schaffte der Bauer, der alles Getreide geschnitten haben wollte, Notburga solle weiter arbeiten. Diese hob die Sichel in die Höhe und sprach: „Wenn meine Bedingung recht und gottgefällig ist, so zeig' es diese Sichel!" Sie zog ihre Hand von dem Werkzeug, das nun frei in der Luft schwebte. Der Bauer war darob ganz dertattert, bat die Magd um Verzeihung und ließ sie nie mehr nach dem Ave-Maria-Läuten arbeiten, was seinem Wohlstande nicht schadete.

Auf Lichtmeß folgt Sankt Blasius. Weil der hl. Blasius zu seinen Lebzeiten einen Knaben, dem eine Fischgräte im Halse stecken geblieben und ihn am Leben bedrohte, wunderbarerweise davon befreite, ist er heute noch „gut" gegen Halsweh. Darum geht man in die Kirche „blasigen", kniet vor dem Altar hin, der Priester hält zwei Kerzen kreuzweise vor das Kinn und spricht den Segen. Die Lananer steigen wallfahrend zum Blasius in der Kapelle des Schlosses Braunsberg hinauf.

Sankt Agatha (5. Februar) ist der Tag der Ausführung des Schlenggelns, das nach einem Abschiedsessen, dem „Henkermahlele", vollzogen wird, heutzutage wird dieses gewöhnlich als „Einstandsmahlele" auf den ersten Sonntag nach Agatha verlegt. Aber auch den Meraner Stadtleuten bringt Agatha das Wandern in die Beine, und zwar infolge eines Gelöbnisses. Auf einem alten Votivbilde im Rathause ist die Stadt zu sehen, darüber in Wolken schwebend Maria mit dem Jesukinde, vor ihr kniet die hl. Agatha. Am Fuße des Gemäldes steht zu lesen: „Anno 1339 unter der Regierung Prinz Johannis von Haus Tierburg ist die Stadt ganz abgebrunnen. Anno 1347 ist der Röm. König Carl aus Böheim in Tirol eingefallen und hat unter anderen Verwüstungen die halbe Stadt in Aschen gelegt, daß sie also innerhalb 8 Jahren zwey erbärmliche Brünste erlitten, im letzt gemelten Jahr hat die Stadt um Abwendung zukünftiger Feuersbrünsten einen Kreuzgang den ersten Donnerstag in der Fasten nachher Lana zu der hl. Agatha verlobt . . . ."

Zur gleichen Heiligen pilgern die Tiroler. Die Saltner* des letzten Herbstes gingen zuvor mit einem silbernen Becher Opfergeld sammeln. Er war auf dem Mateilerhofe aufbewahrt.
*Feldhüter

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 55ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Oktober 2005.
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