Der "Moaser Student"

Über den „Moaser Studenten" ist uns eine ganze Reihe von Geschichten, Ulken, Streichen und Sagen überliefert.

Die Maiser hatten vor Zeiten eine arme Taglöhnerin als Gemeindemitglied, die sich eines Sohnes, Hans, erfreute (146). Er war ein aufgewecktes Bürschl, drum wollte ihn die Mutter studieren lassen, damit er ein Herr werde und kein so elender Schinder wie sie. Der gute Hans besaß aber nicht nur Talent überhaupt, sondern insbesondere solches zu allerhand Lumpereien, weshalb ihm die Professoren der lateinischen Schule nicht lange gewogen blieben und ihm den Laufpaß gaben. Als erstickter Student war er zu gar nichts mehr zu brauchen und wurde ein Tagdieb. Dank seiner Untätigkeit im Guten und seiner Betriebsamkeit in weniger guten Dingen brachte er es dahin, daß man ihn samt Mutter aus dem Dorfe wies. Freilich blieben sie dadurch erst recht nicht von weiteren Streichen des Tunichtgutes verschont. Nun hatten die Tiroler das Vergnügen, das verkommene Genie zu beherbergen. Der Pflegerbauer (147) nämlich hatte sich vom Mitleid mit der armen Mutter hinreißen lassen, sie und ihr zweifelhaftes Früchtl in sein Haus aufzunehmen. Der Pfleger muß jedenfalls eine große Portion Humor gehabt haben, denn es wird erzählt, daß er Witz in den Possen des Studenten gefunden und sich gedacht habe, vielleicht könne aus dem Hallodri doch noch was werden, wenn man ihn etwas lernen ließe. Der Idealist gab der Mutter Geld, damit sie den Hans in die Lehre schicke. Der Jüngling war aber bezüglich Arbeit kritisch veranlagt, fand an jedem Gewerbe irgendwas auszusetzen und machte sich mit dem Gelde davon. Auf der Wanderschaft erlebte er manige Abenteuer und geriet zum Schlusse unter die Räuber (148). In einem Walde traf er diese Gemütsmenschen gerade damit beschäftigt, einen ermordeten Krämer auszuplündern. Hans kümmerte sich nicht weiter um dieses Unternehmen, zeigte der Bande die kalte Schulter und ging vorbei. Diese Schneid gefiel dem Herrn Räuberhauptmann und er nahm den Studenten in seine Gesellschaft auf. Der Maiser wurde ein kühner Räubersmann. Nach etlichen Jahren hatte er genug von der Sache, ließ sich seinen Teil herauszahlen und zog als reicher Mann in seine Heimat.

Freude und Stolz der Mutter wandelte sich bald in arge Betrübnis, als sie die Herkunft des Geldes erfuhr. In ihrem Entsetzen rannte sie zum Pfleger [Richter], dem nichts anderes übrig blieb, als den Verbrecher einzuziehen und hängen zu lassen. Die Mutter bestürmte den Mann mit Bitten, bis er sich erweichen ließ und sagte: „Wenn der Lumpenkerl imstande ist, drei Aufgaben (149) zu lösen, will ich von der Sache schweigen, sonst muß er baumeln!"

„Am ersten Tage muß er mir mein Pferd unterm Hintern wegstehlen, am zweiten die Ochsen vom Pfluge und am dritten das Leintuch, auf dem ich gerade liege!" Die Mutter kehrte todtraurig heim, denn das waren Aufgaben, deren Lösung sie sogar ihrem Hans nicht zutraute. Der aber war guter Dinge, fühlte seinen Hals und sich schon frei und meinte, da habe er als Räuber schon ganz andere Nüsse geknackt. Na, da sind wir neugierig. Am ersten Tage ritt der Pfleger aus. Hans, der ein hübscher Bursche war, verkleidete sich als Mädchen, tat guten Wein in ein Bütterle und suchte wie von ungefähr dem Reiter zu begegnen. Dies geschah und das Mädel tat baß erstaunt, den Pfleger schon so früh im Sattel zu sehen. Gut gelaunt in der Gewißheit, daß ihm der Maiser Student werde keinen Streich spielen können und angeregt durch die leuchtenden Augen der hübschen Dirn, erzählte der Pfleger den ganzen Handel und warum er ausgeritten. „Ei, da müßte der Kerl ja hexen können, um so einen Mann aus dem Sattel zu heben!" kicherte bewundernd das Mädel und bat: „Wollet Ihr mir nicht Bescheid tun und Euch stärken für das Abenteuer? Tut mir die Ehr' und nehmet einen Schluck Küchelbergerl"

Der Pfleger, dem Weine niemalen abgeneigt, noch dazu kredenzet von einem nicht üblen Mägdelein, tat einen herzhaften Schluck aus dem Bütterle und dies tat bald seine Wirkung; denn der Student hatte ein Schlafpulver hineingemischt. Der Reiter nickte auf feinem Rößlein ein, Hans hob ihn aus dem Sattel, schwang sich selber hinein und sprengte davon. Am zweiten Tage pflügte der Pfleger auf dem Felde, und zwar gewitzigt von den Erfahrungen des ersten Tages inmitten seiner Dienstleute. Der Student hatte einen Korb voll Hühner erstanden (auf welche Weise steht nicht vermeldet), schlich auf den Acker und ließ sie laufen. Alles glaubte, es seien die Hennen des Pflegerhofes entkommen, und beeilte sich, das Federvieh zu fangen. Hans trieb derweilen die Ochsen weg.

Am dritten Tage lag der Pfleger knietief und mit dem festen Vorsatze, drin unbedingt liegen zu bleiben, in den Federn. Während des Tages ereignete sich auch gar nichts und befriedigt schlief der Richter ein.

In der Nacht erwachte er durch ein Geräusch am Fenster, sah eine Gestalt dort sich auf- und abbewegen, besann sich auf den Handel, dachte: „Ha, das ist der verflixte Hans, der mir das Leintuch stehlen will", nahm ein Pistol — hin ist hin, ob durch Pulver oder Strick — und drückte los. Der Student tat einen fürchterlichen Todesschrei und verschwand aus der Lichtung.

Kein Zweifel, der Verbrecher hatte verspielt und seine Schuld bezahlt. Aber vielleicht war er nur verwundet und noch für den Galgen zu retten. Der Pfleger stieg aus dem Bett und ging vor's Haus, hier lag ein durchschossener Strohmann, den der Student am Fenster hin- und herbewegt hatte, bis er den Pfleger zum Schusse reizte. Als der Richter die Kammer verlassen hatte, stieg Hans durchs Fenster, entraffte das Linnen und verschwand. Er hatte die Wette und damit sein Leben gewonnen.

Bald darauf gab er den Tirolern wieder Anlaß, sich mit ihm zu beschäftigen. Er fing einen Korb voll Krebse (150), pickte den Tierchen in dunkler Nacht auf dem Friedhofe kleine Wachskerzchen auf den Rücken und ließ sie laufen. Vor dem Friedhofgatter blieb er stehen, hielt einen leeren Sack offen und schrie mit verstellter, unheimlicher Stimme: „Wer in den Himmel will, muß in diesen Sack schliefen!" Der Mesner erwachte und eilte schnurstracks zum Pfarrer: „Hochwürden, der ganze Freithof wimmelt von Armen Seelen, am Gatter steht ein Erzengel und hält den Himmelsack offen!" Diese Gelegenheit muß man benutzen, dachte sich der Pfarrer, ging hin und kroch in den Sack. Hans knüpfte hurtig zu, trug Sack und Pack in den Keller des Widums und tröstete den Gefangenen, er solle ein wenig Geduld üben, bis der Fang noch reichlicher werde für den Himmel; wenn er aber etwas kommen höre, solle er schreien: „Fort von mir, was böse Geister sind!"

Als die Häuserin morgens ein Stück Speck aus dem Keller holen wollte, rief der Pfarrer, wie ihm geheißen. Doch die Häuserin hob sich nicht von dannen, denn sie erkannte die Stimme und öffnete den Sack. Der Pfarrer aber sprach: „Das ist ein Teufel gewesen und nicht ein Erzengel."

Ist der Maiser Student auch nicht der Teufel gewesen, so trat er doch bald in sehr vertraute Beziehungen zu ihm, und zwar durch den Besuch der Schwarzschule in Lana, in der er mit weit größerem Fleiße studierte als einst in der Lateinschule: Hans wurde ein berühmter Hexenmeister.

Im Passeiertale kam er zu einer geizigen Bäuerin (131) und verlangte eine Schüssel Milch, die ihm das Weib abschlug. Er drohte: „Die Milch her oder ich lasse die Ratten von ganz Passeier kommen!" „Das kannst tun, wenn du's tun kannst", spottete die Bäuerin. Der Student steckte zwei Finger in den Mund, tat einen eigenartigen Wispler und die Ratten kamen von allen Weltgegenden, die die Passeirer haben, zur Tür hereingelaufen. Da fiel das geizige Weib auf die Knie und versprach eine ganze Ahrn Milch; doch erst nach langem Bitten zwang er die Tiere, die inzwischen gierig über Speck, Geselchtes und Würste hergefallen waren, zum Rückzuge.

Ein andermal (152) verwandelte er einem Mädel, das Kirschen feilhielt und ihm keine geben wollte, die ganzen Früchte in Mäuse.

Ein Bauernknecht bat den Hans, daß er seiner Sense „a tamische Schneid" mache (153). Der Zauberer gab ihm ein Stück Pech, die Sense zu wetzen, aber dann solle er damit ja niemandem zu nahe kommen, sonst gäbe es Blutstropfen auf der Sense. Sie schnitt das Gras wie Butter und darüber bekam der Bursche den Stolz, sich hervorzutun, und mähte immer näher an die anderen heran. Da tropfte plötzlich Blut aus dem Eisen. Ein anderer Knecht warf dem ehrgeizigen Mäher einen Dengelstock in die Mahd, den die Sense glatt durchschnitt, aber sie war ganz rot von Blut. So um 11 Uhr vormittags saß der Student in einem Meraner Wirtshause (154) und sagte: „So, jetzt muß ich nach Innsbruck mit einigen Herren Mittagessen", erhob sich, bestieg einen Ziegenbock, der vor der Türe angehängt war, und ritt über Berg und Tal davon. Nachmittags war er wieder hier.

Hatten schon die Bubenstreiche des Hans den Maisern die Galle aufgerührt, so entwickelte sich der Student durch seine Hexereien und Zauberstücke zu einer wahren Landplage und man suchte seiner habhaft zu werden.

Das hatte aber seine Schwierigkeiten!

Eines Tages zechte er in einem Wirtshause lustig drauflos (155). Häscher umzingelten es und glaubten, den Fang schon so gut wie gemacht; doch der Zauberer versteckte sich in seinem Weinkruge und niemand fand ihn.

Die Paulser (156) setzten ihn zwar einmal hinter Schloß und Riegel; allein, wo der Student mit Erde in Berührung kommen konnte, vermochte er sich allemal zu retten. So auch in diesem Falle. Natürlich war er nun über die Sankt Paulser höllisch erzürnt, stieg in den Gantkofel und schob mit aller Kraft die sogenannte „Hohe Wand". Schon entstanden Klüfte, lockerten sich Felstrümmer und rollten Steine bergab. Da läuteten die Paulser schreckerfüllt ihre große Glocke und der Student mußte von der Vernichtung des Dorfes ablassen. Die Klüfte sieht man noch heute. Schlauer wollten die Meraner sein (157) und führten den Hexenmeister nackt in einem kupfernen Kessel zur Richtstatt, damit er sich nicht durch Erde „salviern" könne. Kupfer widersteht nämlich allem Zauber. Volk und Straßenjungen begleiteten den Malefizianten. Er reizte sie durch allerlei Schmähungen und Schimpfworte dermaßen, daß sie ihn mit Steinen bewarfen. Mehr wollte er nicht: da hatte er Erde und — der Kessel war leer.

Wieder einmal wurde er in einem Wirtshause hoppgenommen (158), verwandelte sich in eine Fliege und schlüpfte in die Weinkanne. Diesmal war unter den Schergen ein Schlaumeier: er schlug den Deckel zu und nun saß die Fliege gefangen. Als man die Kanne über ein Feld in die Stadt trug, warf eine Dirn, die eben dort arbeitete und den Hans gut leiden mochte, eine Scholle auf den Krug: die Fliege summte davon. Beim Lesen der drei letzten Sagen wird vielleicht manchem die griechische Sage von Antäos eingefallen sein, dem die Berührung mit der Erde neue Kraft verlieh. Er war ein Riese und auch in unserer Sagenwelt kommt diese Eigenschaft nur männlichen Unholden zu. Ebenso entspricht der Kessel aus Kupfer der Anschauung von der zauberbrechenden Macht des Erzes im Altertume.

Die Maiser (159), die (wie wir schon wissen) besondere Veranlassung hatten, auf ihr Gemeindekind erpicht zu sein, hatten ihre Vor- und Umsicht so weit getrieben, daß der Henker auf der Sinnicher Galgenwiese bereits die Hand an das Genick des Studenten legen konnte, um es zu brechen, aber — da hielt er plötzlich einen Strohbund gefasst. Im gleichen Augenblick sah ein Maiser Wirt den Zauberer in sein Wirtshaus treten. Wahrscheinlich hatte der Nachrichter Erde hinter den ungepflegten Fingernägeln; denn zu damaliger Zeit übten die Henker nicht in Frack und stimmungsvollen, schwarzen Glacehandschuhen ihren Beruf aus. Nachdem gesorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, schlug endlich für Hans auch das letzte Stündlein (160). Er war darüber nicht einmal so ungehalten und sagte: „Die Zeit, die mir der Teufel gegönnt hat, ist vorbei. Machet jetzt vorwärts, denn ich will mittags in der Hölle zu den Knödeln zurechtkommen!" Das wird schon stimmen, denn sein Leichnam wurde am Galgen sofort kohlschwarz, was ein sicheres Zeichen ist, daß sich der Teufel einer Seele bemächtigt hatte.

Nach einem anderen Berichte (161) wurde der Hexenmeister auf der Meraner Holzlende enthauptet. Der Stein, auf dem dies geschah, wurde schwarz und sieben Jahre lang wuchs kein Gras mehr um ihn herum.

Ein Vagabund, Zauberer, Betrüger und Hexenmeister in einer Haut war der Manz. Zwar dürfen ihn nicht die Burggräfler für sich beanspruchen, sondern die Sarntaler; doch man erzählt sich von ihm auch hier, weil er manchmal über die Sarner Jöcher herüber unsere Gegend heimsuchte. Auf der Haflinger Alm (162) machte er allerhand Kunststücke: er mähte eine Wiese in wenigen Augenblicken; schnitt dicke Äste und Steine wie dürre Grashalme entzwei; wetzte stumpfe Sensen an irgendeinem Stückl Holz, daß sie schnitten „wie Gift"; begab sich wie der Maiser Student um 11 Uhr nach Innsbruck zum Mittagessen; fuhr über die steilsten Wände des Ifingers mit lautem Halloh hinauf, daß die schwarzen Pferde Feuer schnaubten u. dgl.

Auch das Maß seiner Sünden wurde voll, und zwar in Aschl (163). Als er dort in einer Hütte saß, umzingelte sie das Meraner Aufgebot, das schon lange nach ihm verlangte.

Damit er durch seine Künste nicht entkomme, hielt man ein Kreuz vor das Kammerfenster und machte eines mit Kreide vor die Tür. Manz verwandelte sich in eine Bremse, die ungestüm an den Wänden herumsummte, um durch eine Ritze zu entschlüpfen. Vergeblich! Die Häscher erhaschten die Fliege, sperrten sie in eine Büchse, umwickelten sie mit einem geweihten Tuche und trugen die Bestie, die sich oft sehr schwer machte, in die Stadt.

Hier gab man die Bremse in einen Kupferkessel, den man (gewarnt durch die Erfahrungen beim Maiser Studenten) mit einer Kupferplatte zudeckte. Lange wehrte sich das Tier vor der Berührung mit dem Erze, bis es endlich ermüdet die Flügel sinken ließ. Kaum hatten sie das Metall berührt, wirkte die entzaubernde Kraft des Kupfers und die Bremse wurde wieder Manz, der im Gefäße nicht Platz hatte. Darum entfernte man den Deckel, schmiedete dafür den Hexenmeister mit Ketten an den Kessel. Den lud man auf einen Wagen. Man fuhr zum Richtplatze unter dem Geleit eines Kapuziners.

Als der Wagen zur Passerbrücke kam, wollte des Zauberers Herr und Meister, der Teufel, sie abreißen. Schon krachte sie in den Fugen, wankten die Pfeiler und zwei pechschwarze Vögel stürzten mit wildem Gekrächz aus den Lüften und setzten sich auf Manzens Schultern. Da warf der Pater hochgeweihte Sachen in den Fluß, besprengte die Brücke mit Weihwasser und brach die Macht der Hölle. Die Vögel flatterten davon.

Als sich der Schwarzkünstler vom Teufel verlassen sah, schrie er voll Wut: „Du bist doch ein elender Kerl! Mich hat ein Tropfen Wasser nie versprengt, dich aber verjagt!" Manz blieb unbußfertig und wurde am Sinich verbrannt. Auf der Richtstätte soll seitdem kein Halm mehr gewachsen sein.

Wie aus all dem Erzählten zu ersehen, konnte den Hexenmeistern die beste Schwarzschule schließlich nicht helfen und sie vor Schwert, Galgen, Rad oder Feuer nicht retten. So wurden beispielsweise in einem Jahre, nämlich von 1679 auf 1680 in unserer Stadt dreizehn Hexenmeister hingerichtet.

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 150ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Dezember 2005.
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