Kar- oder Leidenswoche

Wenn der Mesner mit Ölzweigen ins Haus kommt und Kinder mit Palmkatzelbesen herumbetteln, ist der Palmsonntag nicht mehr weit. Der Einzug durch das Haupttor der Kirche versinnbildlicht den Einritt Jesu Christi in Jerusalem unter Hosannah des Volkes und Schwingen der Palmzweige. Anstatt dieser bescheiden wir uns hier, wo die Palmen nur Renommierpflanzen des Kurortes sind, mit rutenartig zusammengebundenen Zweigen der Palmweide, die silberweiße, wollige Blütenkätzchen tragen und in der Kirche heute geweiht werden. Der Bauer steckt solche Reiser hinter das Kruzifix im Herrgottswinkel der großen Stube und die Bäuerin sammelt die Katzeln in einer kleinen Schachtel, wo auch der Kinigenraach (Weihrauch) aufbewahrt ist; denn man bringt den geweihten Palmen hohes Vertrauen entgegen und glaubt, daß sie gegen mancherlei Unheil schützen, wie Viehseuchen, Feuersgefahr, Blitz und Ungewitter; darum wirft die Bäuerin, wenn ein „schieches Wetter" heraufzieht, „Hauspalm" in die Herdflamme, die in einem ordentlichen Bauernhof eigentlich den ganzen Tag nie ausgehen soll.

Hauspalm verjagte auch Hexen, solange es solche gab. Leidet wer an Halsweh, der soll zwei, drei Palmkätzchcn verschlucken und wird zeitlebens vom Übel befreit fein,

Das Mittagessen am Palmsonntage heißt „Beichtmahlele", eingenommen zur Kräftigung nach abgelegter oder zur Stärkung vor noch drohender Beicht, die ein strenges Kirchengebot zur österlichen Zeit fordert, man nennt es „easterli geh'n." Manche, die vielleicht einen allzu fidelen Fasching hinter sich haben, werden freilich so ein „Mahlele" benötigen, wenn sie an das wohlgerüttelte Maß der Sünden denken, das sie dann meist lieber den Kapuzinern in der Stadt einbekennen: „'s Packtl einitragen" heißt man dies. Solches war einstmals genau geregelt in der Gemeinde: jede Fraktion oder Degnei hatte zur Beichte ihren bestimmten Tag in der Karwoche, ja sogar die Meraner Herren, für die der Ostersonntag angesetzt war. Am Nachmittage nach abgelegter Beichte und Kommunion ging der Hausvater oder Bauer gemeinsam mit Kindern und Dienstleuten „österlich", d. h. es wurden Kirchen und Kapellen besucht (in Merano z. B. die Stationen des Doblhofsteiges, während die Gratscher, erleichtert von der Sündenlast,den Kapellenweg nach St. Peter hinanstiegen). Nach dieser gemeinsamen Andacht wartete daheim eine Märende. Den oft schweren Gang in den Beichtstuhl suchte in der Mitte des 18. Jahrhunderts das „Vellauer Herrgöttl" den Gläubigen wesentlich zu erleichtern, allerdings nur seinen Gläubigen. Das Vellauer Bäuerle war unter die Religionsstifter gegangen und hatte eine Sekte gegründet, die häufig auch Zusammenkünfte und Religionsübungen beim «Locher" ober Lagundo abhielten. Da wurde als Beichtstuhl eine Windmühle benützt. Die Sünder murmelten ihre Vergehen in das Ausschüttloch der Mühle, deren Rad das „Herrgöttl" eigenhändig trieb. Aus dem Spreuloch flog der Frevel in die Lüfte und das Beichtkind ging aller Sünden ledig von dannen. Dem Vellauer Messias folgte auch viel Weibsvolk nach; einige „Religionsbräuche" fand die Behörde nicht ganz im Einklang mit der Sittlichkeit und bereitete dem Unfug ein rasches Ende.

Der Palmsonntag ist die Pforte zur Kar- oder Leidenswoche.

Am Krump-Mittag machen die „Ratschen" erstmalig auf dem Turm ihren Lärm. Im Burggrafenamte gilt er insofern als übler Tag, weil sich der Meinung nach heute der Verräter Judas erhängt habe, und zwar an einer Rebe; drum soll man an diesem Tage ja keine Reben schneiden, sonst sterben sie ab. Der Name des „krummen" Mittwoch wird vom Gründonnerstag hergeleitet. Der Ausgang für beide sei „grunen" — klagen, trauern. Die Klagemetten heben bereits Mittwoch an und aus dem Grun-Mittig sei der Krump-Mittig geworden.

Am Gründonnerstag oder Weihenpfinstig soll man nur grüne Speisen essen; man fastet also bei der Schüssel, gegupft mit Spinat gefüllten Schmalz-Krapfen und Salat. Manche leiten das „Grün" vom mittelalterlichen „Tag der Grünen" her, d. h. Tag der öffentlichen Büßer, die nun Lossprechung und Wiederaufnahme in die Kirche erlangten und so aus dürren Zweigen wieder grüne wurden. Der „Pfinstig" gilt als „geweiht" in Hinsicht auf die Weihe der heiligen Öle und man darf keine schweren Arbeiten verrichten.

Am Karfreitag in der Früh geht der Bauer mit seinen Leuten „Kapellenbeten", das sind die Stationen vom Leiden Christi, wie sie fast in jeder Gemeinde an stillen, beschaulichen Wegen stehen, heute gibt es keinen „Vormeß", das „Nachbla" ist nur kalt. Nachmittags sieht man Scharen von Bauersleuten der Stadt zu wandern, um sich an der Prozession andachtsvoll zu beteiligen, die, das Leichenbegängnis Christi darstellend, in ihrem stillen, geheiligten Ernst mit Trauerchören und Choralmusik eine der eindrucksvollsten ist. Allenthalben besuchen die Gläubigen das heilige Grab in den Kirchen, das von farbigleuchtenden Glaskugeln umstellt ist.

Als der Erlöser das Kreuz durch Jerusalem nach Golgatha schleppte (98), wollte er bei einem Schuster. der vor seiner Türe arbeitete, rasten. Dieser aber trieb ihn gleich weiter, ja er soll den Leidensmann sogar mit seiner Ahle gestochen haben. Zur Strafe muß er bis zum jüngsten Tage laufen, hierzulande wird Ahasver "der wandernde Schuster" genannt. — Als Christus am Kreuze hing und furchtbare Qualen zu dulden hatte, kamen Vögel herbeigeflogen und versuchten mit ihren Schnäbeln (99), die Nägel aus den Händen und Füßen des Gekreuzigten zu ziehen, so daß sich die Schnäbel ganz verbogen und verkrümmten. Die Vögel wurden und blieben Krummschnäbel, zur Erinnerung an ihr Mitleid mit ihrem Schöpfer. Sie gelten als besonders gesegnet.

Im Weinlande gilt ein Räuschlein nicht gerade als himmelschreiende Sünde, aber ein Rausch am Karfreitage wird als so schwer gewertet, daß der Frevel erst durch dreimalige Beichte gesühnt werden kann, heute ist jedoch der beste Tag, junge Pflänzlein in die Gartenbeete zu setzen, namentlich die Feler-(Weiden-)Pelzer.

Den Karsamstag füllt die Kirche mit weihevollen, auch für das Leben des Burggräflers bedeutsamen Gebräuchen.

In der Frühe wird am Gottesacker die Feuerweihe vorgenommen.

Stücke aus dem verkohlenden Scheiterhaufen sind wirksam im Stalle gegen Verhexung der Kühe, sie vertreiben Ungeziefer vom Acker und wenden Hagelschlag ab; drum wirft man bei sommerlichen Hochgewittern nebst Palmkätzchen und geweihten Kräutern auch ein Stücklein von dieser Kohle ins Herdfeuer. Der Jungknecht hat sich eine schöne, abgestorbene Rebe ausgesucht und steckt sie ins heilige Feuer. Halbverbrannt trägt er sie heim.

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 88ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, November 2005.
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