Die Glaubensboten des Burggrafenamtes

Der 14. Februar ist dem Gedächtnisse Sankt Valentins (hauptsächlich bei den Maisern) gewidmet. Er gilt als Patron gegen Fallsucht. Er selber hatte als eifriger Apostel des Christentums sozusagen die Fällsucht, wie es auch auf dem schönen Bilde von Blaas am Triumphbogen des lieblichen Valentinkirchleins beglaubigt erscheint. Er, der erste Apostel Rhätiens, fällte die Göttereichen, ohne vom Donner-gotte zu Boden geschmettert zu werden. Er kam Mitte des 5. Jahrhunderts in die Gegend von Maia, starb dort um 470 und über seinem Grabe soll das Kirchlein erbaut worden sein. Die Sage (79) erzählt, er sei im Schlosse Trauttmannsdorff gestorben, wo man auch früher die Zelle, in der er gelebt haben soll, gezeigt bekam.

Ein Stücklein Holz vom Altare Valentins hilft, verschluckt, gegen Zahnweh und Grimmen. An die Wende des Heidentums zum Bekenntnisse Christi findet man im alten, dem hl. Georg geweihten Heiligtume (oberhalb Scena, Schenna) einen fernen Anklang. Dort hängt nämlich eine Kummernuß. Davon geht im Volke die Legende (74): Eines heidnischen Königs Tochter war außer Maßen schön und noch dazu weise. Darum hätte sie ein junger Heidenkönig gerne zur Ehe gehabt. Er kam aber zu spät, denn die Prinzessin hatte sich allbereits dem Christengotte verlobt. Kurzerhand ließ sie der nicht wenig ergrimmte Vater in den Turm werfen. Da flehte sie Gott an, er möge sie also verwandeln, daß sie gewiß keinem Manne, insbesondere dem jungen Heidenkönig mehr gefalle, und er machte die Jungfrau mit Haar und Bart einem Manne gleich. Darob wurde der königliche Vater nur noch vergrimmter und rief: „So sollst du sterben wie dein Gott!" So geschah es, die Prinzessin wurde gekreuzigt. Die Märtyrin heißt Kummernuß, liegt in Holland begraben und wirkte viele Wunder. Das bekannteste (auch in unserer Gegend) ist jenes an einem armen Geigerlein (75), das einmal in solcher Verehrung und Andacht vor dem Bildnisse der Jungfrau spielte, bis das Bild einen Schuh fallen ließ. Der aber war gülden, und der hungrige Musikant setzte ihn beim Goldschmied in silberne Münze um. Wie kommt ein elender Geiger zu solchem Schuh? fragte sich der Juwelier und überantwortete ihm wegen Diebstahls dem Gerichte. Auch dieses glaubte dem verlottert aussehenden Spieler die unwahrscheinliche Ausrede nicht und wollte ihn nach damaliger Sitte aufhängen lassen. Flehentlichst bat das Geigerlein, nochmals vor der Kummernuß spielen zu dürfen, und siehe: als der Spielmann voll Inbrunst vor dem Bildnisse musizierte, da ließ die Kummernuß auch den anderen Schuh fallen und der Verurteilte ging frei von dannen.

Die "Kummernuß", die dem Volke als bärtige, in langem Gewände an das Kreuz geschlagene Jungfrau gilt, ist in Wirklichkeit das Kruzifix von Lucca, das Christum gekreuzigt in langem Gewande mit Krone und Schuhen zeigt. Es ist wundertätig und am Karfreitage wird ihm der rechte 5chuh abgenommen, damit das Blut des Erlösers in den darunter stehenden Kelch fließen könne, neben dem Josef von Arimathea (der arme Geiger) kniet. Ein Beweis, mit welch blühender Phantasie und zarter Lieblichkeit das Volk zu dichten versteht.

Ein großer Verehrer des hl. Valentin war der Bischof Corbinian, der als Glaubensapostel auch für das Burggrafenamt von Wichtigkeit war. Als Bischof von Freising wallfahrtete er zweimal nach Rom, kam durch's „Land im Gebirge" und ein Bär zerriß ihm das Tragpferd und fraß es auf; nur das Gepäck ließ er übrig (75). Da gebot der Bischof dem Untier, die Last zu tragen, wie es das verschlungene Roß getan. Der Wunderkraft eines Heiligen fühlte sich Meister Petz nicht gewachsen, schlüpfte in das Joch und trug das Gepäck bis in die heilige Stadt. Schon im „Ehrenkränzel" ist zu lesen: „Anno 730 entschlief im Herrn der hl. Corbinianus . . ., der viel Wunderthaten erzaigt und unter andern auf der Wallfahr gegen Rom einen Bären anstatt eines Pferdes gebraucht hat."

Nach seiner Rückkehr (77) ließ er sich in Caimina, dem heutigen Caines, nieder und erbaute dort die erste Kirche, eine halbe Stunde entfernt von seiner Zelle, die ihm König Luitprand hatte errichten lassen und daraus der Luitprand-Hof desselben Ortes entstanden ist. Zur Zeit der Tätigkeit Corbinians breitete sich noch auf dem Gebiete des heutigen Groß-Merano das alte Maja aus. Dann verschwindet es aus der Geschichte und taucht erst im Zahre 931 in einem Diplom Kaiser Heinrich des Voglers als „Majes" wieder auf. Diese historische Lücke füllt die Sage (78). Die Bewohner von Maja veranstalteten (es wird um 800 herum gewesen sein) einen Bittgang nach Lana. Währenddessen brach der Naifbach aus, verschüttete die ganze Ansiedlung und bildet nun die Lehne des jetzigen Maia. Nur die Wallfahrer waren am Leben geblieben.

Anschließend sei bemerkt, daß uns ein ähnliches Schicksal von der anderen Seite beschieden ist. Eine alte Mär (79) geht um, daß der Spronser Langsee ausbrechen und alles zugrunde richten werde. Die Kuenser verehren ihren Corbinian noch aus einem besonderen und gewiß gedenkenswerten Grunde, weil er der Sage (80) nach auf ihren Leiten den Weinbau eingeführt habe. Vielleicht im Kuenser Bereiche infolge späterer Rodung.

In Wirklichkeit aber wurde im Etschlande der Wein bereits viel früher gezüchtet. Weiß doch schon der römische Dichter Virgilius, dessen zweitausendjährigen Geburtstag wir in diesem Jahre (1930) feiern, zu berichten, daß Oberetscher Wein das Lieblingsgetränk des Kaisers Augustus war. Er selber stellt die rhätischen [rätischen] Weine nur dem vielbesungenen Falerner nach. Freilich urkundlich wird der Weinbau bei uns erst im Jahre 855 erwähnt, wo der Weinberge in „Bauzena" gedacht wird. Um das Jahr 1000 besaßen zwei Dutzend bayerische Klöster Weingüter im Etschlande, kein Wunder, daß man einen Bischof von Freising in Bayern mit unserem Wein in Verbindung brachte, zumindest die Kuenser.

Die übrigen Burggräfler sind überzeugt (81), daß der erste, so freudig begrüßte, trockene Erdenfleck, der aus der Sintflut ragte und auf dem Noah seine Arche verankerte, nichts anderes gewesen sein kann als der Küchelberg. Noah selbst, kaum ausgestiegen, warf sich gleich mit Eifer auf das Pflanzen von Reben. Eine andere Sage (82) bringt nur die Söhne Noahs mit unserem Weine zusammen und mit den Nörggelen. Die Söhne, ausgesandt vom Vater, die Weinkultur in alle Welt zu verbreiten, kamen ins Etschland, wo ein Zwergvolk von einfachster Viehzucht lebte. Die Fremdlinge müßten nichtswürdige, ungeratene Söhne eines Noah gewesen sein, wenn sie nicht eine erkleckliche Zahl Schläuche guten Weines mit sich geführt hätten. Sie gaben den Nörggelen zu kosten und denen schmeckte das rote und weiße Naß so prächtig, dass sie den Söhnen Boden für Weinbau überließen gegen Abgabe von so und so viel prallgefüllten Schläuchen. Das war in der Leitacher Gegend. Dem Vater Noah überschickte Kostproben mundeten ihm derart, daß er selber kam, sah, durch's Etschtal heraufwandelte und überall Reben setzte. Die Nörggelen hatten ein lustiges Leben und soffen wie die Löcher. Das ging lange Jahre. Auf einmal brach fremdes Volk ein, nahm Besitz von allem, kümmerte sich nicht um alte Verträge, trank den Wein selber, und den Zwergmännchen ging es riesig schlecht. Viele hielten so schauerliche Zeiten ohne Wein nicht aus und starben, andere flüchteten in die Höhlen der Mut und des Tschigat. Später kam anderes Volk ins Land. Es war anscheinend gemütlicheren Charakters; denn die kleinen Wichte getrauten sich aus ihren Schlupfwinkeln, gesellten sich zu den Menschen und schauten, wieder Wein zu ergattern. Sie gaben den Leuten allerhand gute Ratschläge, trieben Spaß und Kurzweil und halfen fleißig mit bei der Arbeit. Doch das Menschengeschlecht dehnte sich infolge Eigenvermehrung immer weiter aus und die Norggen zogen sich mehr und mehr in die Höhlen zurück. Nur zur Wimmzeit schleichen sie sich in die Weingärten herab und treiben manchen Schabernack. Viele glauben, daß diese Kobolde auch noch zur Zeit des neuen Weines und des Törggelens unsere Gegend unsicher machen.

Der Rückzug der Nörggelen (83) wird auch anders erklärt: Demnach rücken jetzt die tausend kalten Jahre herauf. Sobald die vorüber sind, gibt es ein neues goldenes Zeitalter und Weinäcker bis an die Berggipfel. Dann werden die Nörggelen wieder gemeinsam mit den Menschen das Etschland bewohnen. Dem widerspricht freilich eine andere Sage(84). Wenn der Segenbühel einst ganz mit Reben übersponnen sein wird, naht der Antichrist und das Ende der Welt.

Wir müssen beim Wein bleiben.

Inzwischen ist es nämlich der 22. Februar geworden, auf den Petri Stuhlfeier fällt. Da setzt die Weinbergarbeit kräftiger ein und deswegen erhalten die Dienstleute von diesem Tage an mehr Wein zur notwendigen Stärkung. Der Heilige hat davon auch was profitiert und wird „Peter Bütterle" genannt. Bütterle ist die Verkleinerung von Butte und hat die Form eines niedlichen Fäßchens oder eines flaschenähnlichen Kürbisses.

Mattheis (24. Februar) bricht's Eis" und es geht dem Frühling entgegen. Unterdessen hat sich in der Stadt der Karneval bald ausgetobt. Auf dem Lande ist von einem Faschingstreiben so gut wie nichts zu verspüren, dank des gesetzten Wesens des Burggräflers, dem alles bunte, laute, überhitzte Treiben ein Greuel ist. Freilich, die neuere Zeit ist leichtlebiger geworden und die Tanzböden der Stadt locken mehr junges Bauernvolk an als dermaleinst.

Hans Matscher, Glaubensboten

Andererseits muß gesagt werden: nicht nur wenn die Narrenschellen des Prinzen Karneval klingeln, strömt Volk herbei, auch wenn der hochragende Meraner Pfarrturm seine ehernen Glockenstimmen hinaustönen läßt über das weite Land, folgen von dort viele Hunderte seinem Rufe. Er mahnt an das Jenseits gerade an den letzten Faschingstagen, in denen ihm zu Füßen die Freuden des Diesseits üppig wuchern. Er ist aber auch ein Rufer, wie es weitum keinen zweiten gibt. Nicht zu verwundern, daß sich auch seiner die Sage bemächtigt hat. Unter der alten Uhr (85) ist ein Männlein in Sandstein ausgehauen, zur Erinnerung an den Meister, der den Turm aufführte. Als dieser vollendet dastand, wollte ihm der Baukünstler selbst den goldenen Knauf aufsetzen. In der schwindligen Höhe deuchte ihm plötzlich, er befände sich in einem dichten Walde, wo alle Bäume ganz gleich wären. Sie fingen an zu tanzen und der Baumeister stürzte ab. Im Turmgewölbe (hinauf rechts) stellt ein Fresko den Künstler dar, wie er im Walde betend kniet. Nach einer anderen Mär (86) sah der Meister, als er das Kreuz aufrichten wollte, plötzlich drei Turmspitzen, in Verwirrung schrie er herunter: „Welcher soll ich's auffetzen?" — "Auf die zweite!" rief einer aus der versammelten Menge. Er tat es und fiel vom Schwindel erfaßt in die Tiefe, dem falschen Ratgeber in die Arme.

Auch den Pfarrturm von Lana umschwebt Sagenhaftes (87). Wer nämlich genau zu visieren versteht, wird bemerken, daß der schlanke Bau nach Osten ein wenig geneigt ist. Das ist mit Absicht so geschehen, und zwar, weil der Terlaner Turm ebenfalls schief war. Wo es sich um schiefe Sachen handelt, ist gewöhnlich ein Frauenzimmer dabei. Der Baumeister des Terlaner Turmes besaß dreierlei: einen ausgezeichneten jungen Steinmetz, eine wunderschöne Tochter und einen großen Stolz. Natürlich liebten sich der Steinmetz und die Tochter, der Stolz des Vaters aber widersetzte sich der Heirat. Der Künstler höhnte: „Wenn es auch dir gelingt, einen Turm schief zu bauen, kannst du meine Tochter haben." Nun schauten gerade damals die Lananer nach einem Baumeister für ihre neue Kirche aus, trauten der Tüchtigkeit des jungen Steinmetz und gaben ihm den Bau. Richtig, nach der Vollendung war der Turm ein wenig schief, der Terlaner Meister mußte sein Wort einlösen und es gab eine fröhliche Hochzeit.

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 63ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Oktober 2005.
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