Fronleichnam

Während wir uns bei dem und jenem ein bißchen aufhalten, geht das Jahr unentwegt weiter und so sind wir derweil bei einem im Volke beliebtesten Feiertage angelangt: beim "Heiliblutstag", wie das Fronleichnamsfest genannt wird. Kaum jemals im Jahre wird so gründlich geputzt, gekehrt und gescheuert, nicht nur im Hause, sondern auch in den Gassen und auf den Plätzen, denn der Herr selber wird in feierlicher Prozession durch das Dorf ziehen. Nicht einmal gar so lange ist es her, daß am Vorabend Frauen und Jungfrauen der Meraner Bürger nach dem Mittagessen in die Pfarrkirche gingen, Kränze an den Traghimmel und seine Stangen banden und die Ferkulen [bei Prozessionen herumgetragenen Heiligenstatuen] schmückten. Schlag Eins stiegen die Jungfrauen in den Turm hinauf und läuteten unter Oberaufsicht der Frau Richterin und der Frau Bürgermeisterin Feierabend.

Am Morgen des hochheiligen Tages sind die Straßen, durch die der prunkvolle Umgang sich bewegt, mit Birken und Erlen geschmückt, die Fenster mit Heiligenbildern, Teppichen, Blumenstöcken und Tannengewinden geziert, die Jungfrauen bekränzen ihr Haar und die Leuchterträger ihre Kerzen. Letzteres kam einmal sogar einem Meraner Esel zugute.

Hans Matscher, Fronleichnam

Beim Sternwirt (124) war ein Hausknecht bedienstet, der die Gabe hatte, die Hexen von anderen Menschen unterscheiden zu können. Eines Morgens stand er mit einem Passeirer vor der Haustlüre, als die Leute vom Rorate heimgingen, und zeigte ihm darunter einige Hexen. Als er etliche Tage später hinter den Stadtmauern hinunterfuhr, ward er im Handumdrehen von einer rachsüchtigen Hexe in einen kompletten Esel verwandelt. So kehrte er zum Stern zurück, wurde natürlich nicht als Hausknecht erkannt und weggetrieben. Der Hausknecht trottete zum Sandplatz hinauf, wo damals noch Gras wuchs und nagte dort (begreiflicherweife ohne großen Appetit) an den Halmen herum, bis sich der englische Müller [der Klostermüller der „Englischen Fräulein"] des verlorenen Tieres erbarmte und es zu sich nahm. Der Mensch ist aber meist nicht umsonst barmherzig und so mußte der Esel des Müllers Mehlsacke auf sich nehmen und in die Stadt tragen. So kam er einmal unter den Lauben an der Hexe vorüber, die ihn verzaubert hatte und gerade mit einer Kollegin tratschte. Sie konnte den Mund nicht halten und rühmte sich: „Schau diesen Tolm! Er ist ein Esel geworden, weil er zu vorlaut gewesen!" (Das ist zwar im gewöhnlichen Leben nichts Absonderliches, hatten doch schon die alten Römer den Spruch: „Si tacuisses,philosophus mansisses“ oder auf burggräflerisch: „Hättest's Maul gehalten, wär's g'scheiter gewesen.")
"Und muß er jetzt immer ein Esel bleiben?" fragte die andere Hexe. „Ach!" tuschelte die Zauberin, "er brauchte nur am Fronleichnamstag ein geweihtes Kränzlein zu erschnappen und meine Kunst wär aus." Unser Esel hatte die langen Ohren nicht umsonst und damit das heimliche Gespräch erlauscht.
Als am nächsten Heiliblutstag die Prozession auszog und am Sandplatze das erste Evangelium gehalten wurde, riß sich das Tier los, galoppierte auf den Platz, daß alles Volk schreiend auseinanderstob, schnappte einem Tarzenträger seine mit Kränzchen verzierte Kerze weg und fraß die Zier gänzlich auf. Beim letzten Schluck schwand der Esel dahin und vor dem erstaunten Volke stand der vermißte Hausknecht vom Sternwirt. Die Hexe wurde nach Gebühr und Ordnung am Sinig [Meraner Gerichtsstätte] verbrannt.

Der Vergleich dieser Sage mit jener von der griechischen Zauberin Kirke liegt nahe. Die verwandelte Schiffbrüchige, die auf ihrer Insel landeten, in Tiere. Auch der Held Odysseus und seine Genossen entgingen diesem Schicksale nicht. Es gab aber ein Wunderkraut, das vor diesem Zauber schützte.

Ganz geschützt gegen die Umtriebe des Teufels ist man sogar während der Fronleichnamsprozession nicht; denn der Höllische kann verschiedene Gestalten annehmen und in unserer Gegend beschleicht er den Menschen am vorteilhaftesten als Alkoholteufel.

Als noch das Klarissinnenkloster (127) am Rennweg bestand, wurde dort der Umgang unterbrochen und das Hochamt in der Klosterkirche gehalten. Unterdessen suchten die Fahnen-, Tarzen-, Stangen- und Ferkulenträger naheliegende Schenken auf, um sich von den überstandenen Strapazen zu erholen und für die bevorstehenden zu stärken. Dabei kam es fast regelmäßig vor, daß sie ihre Anstrengung überschätzten und zuviel der Kräftigung sich einflößten, so daß ihnen die Knie versagten, als der Umgang wieder aufgenommen wurde. Das Ärgernis war natürlich groß. Ulrich von Mont, Bischof zu Chur, wohin damals der größte Teil des Burggrafenamtes kirchlich gehörte, weilte gerade um Fronleichnam 1682 hier auf Visitation, schritt gegen den Alkoholteufel energisch ein und verbot das Hochamt bei den Klarissinnen, „damit die Prozession nicht mehr durch solch ärgerliches Bacchantenwesen entehrt würde."

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 126ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Dezember 2005.
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