Die Fasten

Der Aschermittwoch ist die violett ausgeschlagene Pforte in die vierzigtägige Fastenzeit. Der Priester streut Asche auf den im Fasching mehr oder weniger sündig gewordenen Scheitel der Schäflein seiner Herde.

Der Nudelpfinztig, Ziegerfreitig und Kassamstig haben weiter keine absonderliche Bedeutung; sie unterstreichen nur dreimal, daß jetzt die lange Fastenzeit begonnen habe. Nebenbei: auf den Samstag fällt der große Meraner Käsemarkt. Um so bedeutungsvoller ist der Hollepfannsonntag. Sein Abend ist in unserem Lande bekannt ob der Bergbeleuchtung: von den Höhen lodern bei einbrechender Dunkelheit zahlreiche Feuer in die Talweite hinaus. Früher tummelten sich Kinder und Jungvolk um die knisternden Flammen. Brannte der Holzstoß nieder, so sprang man (noch in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts) einzeln oder Bub und Mädel durch die flackernde Glut, in der Erklärung dieses Brauches sind die Gelehrten ebenso vieldeutig wie die Sage: — Vielfach wurde im Feuer ein Strohpopanz (90), eine sogen, „Hexe" mitverbrannt, was auf die Sage hinweist, daß die Hollepfann zur Abwehr der Hexen entzündet würden, die in diesem Feuer elendiglich verbrennen müßten.

Anderweitig begründet man den Brauch mit der Erinnerung an Holle oder Hulda, die Königin der saligen Fräulein. Sie brachte Trost und Segen in die Hütten der Menschen, heilte Bresthafte mit wundertätigen Bergkräutern und lehrte den Mädchen das Spinnen. Diese Sage greift schon mehr in die Seitentäler des Burggrafenamtes, namentlich in den Vinschgau über, wo der Flachsbau und seine Schirmerinnen, die Saligen, mehr zu Hause sind als bei uns, die wir mit dem Weine uns begnügen, immerhin, noch vor rund 60 fahren (91) trafen Schulkinder in den Weingärten unterhalb des Schlosses Rubein eine Salige. Es war ein gar liebliches und freundliches Fräulein. Eine dritte Erklärung der Hollepfannfeuer versuchen die Sprachgelehrten. Hollepfann sei das entstellte gotische „haila fona", bedeutend heilsames Feuer, Heilfeuer. Mazegger hält diese Ableitung für eine starke Stütze der Gothen-Theorie Felix Dahns (siehe das Kapitel „Der Burggräfler").

Am verbreitetsten im Burggrafenämte ist die Mär (92), daß die Pest im Etschlande furchtbar gewütet und Tausende hinweggerafft habe. Dies war allerdings mehrmals der Fall. Die reichste Ernte scheint der schwarze Tod im Zahre 1635/36 eingeheimst zu haben, als ein spanisches Heer durchzog und die Pest hinterher. Man sperrte in den meisten Orten sogar die Kirchen und las die Messe auf freiem Felde oder an sogen. Pestaltären, über die sich ein auf vier Säulen ruhendes Dach erhob, so daß der Priester nach allen Leiten hin sichtbar blieb für die fernab sich haltenden Gläubigen. Von Bolzano bis Nauders starben 16.000 Menschen.

Die Sage (93) behauptet, im ganzen Etschtale seien überhaupt nur mehr zwei Menschen übrig geblieben, ein Mann und ein Weib, die dann mit Eifer der Pflicht sich unterzogen, das ausgestorbene Land durch frischen Nachwuchs wieder zu bevölkern.

Nach einer anderen Fassung (94) suchten die Überlebenden, als die Seuche ausgetobt hatte, wieder miteinander in Verbindung zu kommen, da ja auf weite Strecken niemand seinesgleichen fand. Ein Haflinger Bauer schürte, um ein solches Lebenszeichen zu geben, ein großes Feuer an, die anderen folgten diesem Beispiele und bald flammten ringsum auf den Höhen Feuer auf. Als Andenken daran ist das Hollepfannfeuer in Brauch geblieben.

In der Tat wird die Pest auch den Haflinger Berg erstiegen haben (95). Etwas südlich von der Schelm-Hütte ist eine kleine, sumpfige Wiese, Totenwiese genannt. Dort war früher ein Sumpf, in den die Pestleichen hineingeworfen wurden. Leute hörten oft eine Stimme aus dem Walde:

„Hätt's gegessen Kranewit und Pimpernell,
Wärt's nit g'storben so schnell."

Ein Haflinger Bauer (98) beauftragte seine Magd, falls er an der Pest versieche, ihn mit einem Ochsengespann in einer Penn (Wagenkorb) zum Friedhofe zu führen und in geweihter Erde zu bestatten. Vieh und Wagen sollten dann ihr gehören. Der Bauer starb und die Dirn erfüllte getreulich seinen letzten Willen. Als glückliche Besitzerin eines Ochsenfuhrwerkes machte sie sich auf den Heimweg. Doch die Seuche überfiel sie und das Mädel war tot, noch bevor es daheim ankam.

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Die Fasten" ist eine heilige Zeit. Vielfach werden in den Kirchen Ölberge errichtet, so namentlich überaus stimmungsvoll bei den Meraner Kapuzinern, wohin das Volk gerne pilgert und am Donnerstag den Ölbergpredigten lauscht. Anstatt dessen perlaggten* im Jahre 182* beim Waiblwirt (Ouatemberabend war auch noch dazu) der Unterplainer Sepp, der Nußbamer Zeno, der Wasserer Hies und der Tschiderer Luis, daß der Tisch in allen Fugen krachte. Sie sparten auch nicht mit saftigen Flüchen und waren schon weit über die Mitternacht hinausgeraten (97).
* Ein im Etschland gebräuchliches Kartenspiel

Der Unterplainer Sepp hatte just den Gottseibeiuns mit seinem richtigen Namen genannt, als ein Jager mit kecker Spielhahnfeder auf grünem Hütl in die Stube trat und sich, manierlich einen guten Abend wünschend und „mit Erlaubnis" zu den Spielern. setzte. Die merkten gleich, daß der Kiebitz ein geriebener Kenner des Perlaggens sei, merkten aber nicht, wie er sie durch seine Ratschläge da und dort immer mehr gegeneinander hetzte, so daß des Maledeiens, Streitens und Fluchens kein Ende war. Da fiel dem Tschiderer Luis, der etwas sanfterer Gemütsart war, eine Karte zu Boden. Als er sich darum bückte, gewahrte er unterm Tisch zwei Bocksfüße, die dem Jägersmann gehörten. Nun, das weiß jeder Christ, selbst wenn er ein hitziger Perlagger ist, daß auf solchen nur der Fürst der Hölle einherwandelt. Dem zu Tode erschrockenen Luis gelang es, durch allerlei Perlaggerzeichen, die selbst der Teufel nicht kannte, seine Spielgenossen zu verständigen, daß der Gast der Leibhaftige sei.

Das konnte gut ausgehen! Sie taten aber beherzt, fluchten weiter, um den Teufel bei guter Laune und am Tisch zu halten, bis einer von ihnen geistliche Hilfe geholt haben würde.

Dem Wasserer Hies gelang es, sich mit triftigem Grunde zu entfernen. Er rannte wie besessen zum Kapuzinerkloster, riß an der Glocke, daß es in den Gängen hilderte, und flehte den frommen Pater Anton Maria an mitzukommen.

Aber sogar dieser hatte große Mühe, den Teufel zu vertreiben.

Die vier Spieler sollen zeitlebens keine Karte mehr angerührt haben und seither haben es die Perlagger nie mehr gern, wenn sich ein Stockfremder zu ihnen setzt und kiebitzt. Man kann nie wissen!

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Auf den 12. März fällt Gregori.

"Gregori macht
Den Tag gleich der Nacht."

Was die „dummen Bauern" da zusammenreimen! Jedes Schulkind in der Stadt weiß, daß die Tagundnachtgleiche am 21. März eintritt. Aber diesmal haben alle recht; denn vor vierhundert Jahren fiel der 21. März infolge Mängel, die der julianische Kalender im Laufe der Jahrhunderte nach sich zog, tatsächlich auf Gregori (den 12. März); erst Papst Gregor XIII. schaffte Anno 1582 wieder Ordnung. Der Vers ist also vor diesem Jahre entstanden und kann manchen Spötter über Bauernregeln belehren, wie altehrwürdig solch' Bauernreime sind und wie zäh das Volk an Altem festgehalten hat. Die hl. Gertrud (17. März) findet man in alten Bauernkalendern mit einem Spinnrocken, an dem zwei Mäuse hinauflaufen, abgebildet, denn:

„Um Gertraud
Läuft die Maus
Gegen's Feld aus."

Gertrudis ist die Heilige gegen die Mäuse, und daß diese ins Feld flüchten, zeigt, daß es dort schon was zu holen gibt. Auch die Bäuerin hat den winterlichen Spinnrocken bereits mit dem „Zarggele"* vertauscht und hebt ums Haus herum an zu „garteln". Gertraud war nach der Legende die erste Gärtnerin. Der Ertrag des Hausgartens ist das Taschengeld der Bäuerin; sie steht deshalb meist mit den Kapuzinern, die so gute Salatpflanzeln zu züchten verstehen, auf gutem Fuße.
* kleiner Gartenspaten

Um Maria Verkündigung (25. März) kommen von weither immer gern gesehene und mit Freude erwartete Gäste:

„Maria Verkündigung
Kommen die Schwalben wiederum."

Sie find nicht nur Frühlingsboten: sie bringen Frieden und Segen ins Haus.

Wo Schwalben nisten, schlägt der Blitz nicht ein; das haben die Tierlein im Gefühl, drum bauen sie ihr Nest dorthin.

Wer ein solches zerstört, schadet dem Hause und den Frevler wird bald ein schreckliches Unglück ereilen.

Im März soll man sich nicht die Haare schneiden lassen, weil man sonst Kopfweh bekommt.

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 81ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Oktober 2005.
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