Allerheiligen

Nach der fröhlichen Kirchweih, angesichts der glücklich eingebrachten Ernte, mag es passend erscheinen, auf die Ernte des eigenen Lebens und ihren Schnitter, den Tod, zu denken.

Vorher setzt die Kirche das Fest der Seligen im Himmel: Allerheiligen. Aber bereits am Mittag treten die „Armen Seelen" in den Vordergrund des Gedenkens durch das „Seelenausläuten", wobei durch eine Stunde mit allen Glocken geläutet wird. Das Volk glaubt, daß durch dieses Läuten die Armen Seelen befreit werden und auf die Erde sich begeben dürfen, freilich nur bis zum nächsten Morgen; dann müssen sie wieder zurück in die reinigende Pein des Fegefeuers; viele werden in dieser Stunde ganz erlöst.

Der Burggräfler ist vom Sterben, das er humoristisch „die Giegl auröck'n" oder „die Patschen auftell'n" nennt, eigentlich recht wenig erbaut. Er hält auf ein gewisses Wohlleben, liebt gutes Essen, läßt sich den Haustrunk schmecken; der hat ihm ja Arbeit und Sorge genug verschafft. Von diesem Leben abzuscheiden, das ist mit einigem Zögern verbunden, mit einem gewissen hinhorchen. Drum gibt's eine stattliche Reihe von Anzeichen, die „aufmarig" machen, wie zum Beispiel:

Wenn nachts ein Hund heult, kann sich wer in der Nachbarschaft auf den Tod vorbereiten.

Spielen Kinder Begräbnis oder machen sie Gräber, stirbt bald wer.

Zirpen Grillen im Haus,
Trägt man bald eine Leich hinaus.

Ebenso, wenn Raben um den Hof kreisen. Die Raben sind überhaupt „Sauviecher"; ganz abgesehen, daß sie in die Kirschen gehen und auch anderes Obst nicht verachten und der Teufel selber sich dieser Verkleidung bedient, stiften sie noch allerhand Unheil. Zum Exempel (220) brach Anno 1190 eine „erschröckliche Unfruchtbarkeit" an Wein und Getreide ein, so daß eine große Hungersnot folgte. Da sind Raben gesehen worden, die in ihren Schnäbeln glühende Kohlen trugen und damit Häuser anzündeten. Nebenbei bemerkt, werden diese Vögel in der Meraner Gegend auch „Passeirer Tagwerker" genannt, weil sie morgens in großen Scharen ins Passeiertal fliegen und abends wieder heimkehren. Ein anderer Totenvogel ist der Buhin: Läßt er sich nachts in der Nähe einer Behausung hören, kann sich ein Bewohner gefaßt machen. Sogar eine krähende Henne deutet Trauertränen, zumindest aber Regen an.

Klopft die „Totenuhr" (meist ein unschuldiger Holzwurm) in den getäfelten Wänden, schlägt einem Inwohner bald das letzte Stündl.

Gelbe Flecken an den Fingern heißen „Totenmoaler" und ihr Besitzer tut gut, an das Testamentmachen zu denken.

Sterben in einem Hause zwei hintereinander, kann sich innerhalb Jahresfrist noch ein drittes gefasst machen.

Wenn am Friedhof ein Grab einsinkt, folgt bald eine Leiche nach.

Träume von Wasser und von Wäsche erfüllen sich durch einen Todesfall in der Verwandtschaft, Im Allerseelendrama „Der Müller und sein Kind" findet man den Glauben verwertet, daß man abends nach dem Aveläuten einen geisterhaften Leichenzug sehen kann und die Person hinter der Bahre alsbald sterben muß; dieser Meinung ist man auch im Etschlande.

„Meldet" sich jemand vor seiner Todesstunde an, wird er selig, wenn aber hernach, so geht es seiner Seele übel im Jenseits.

Ein alter Tiroler Bauer konnte bestimmt vorhersagen (221), von welchem Teile des Dorfes die nächste Leiche getragen werde. Er hörte nachts Sand ans Fenster werfen. Von wo der Sand geflogen kam, von dort kam auch der Tote.

Ein Maiser Bauer hatte drei Töchter (222), von denen eine Viehdirn machte und im Stalle „derbe Knospen" (Holzschuhe) trug. Zu Martini bekam sie starke Kopfschmerzen und mußte zu Bett gehen. Da hörte sie in einer Nacht sich selber der Schlafkammer nähern: es war ein Schritt wie der ihre. Nun stellte „es" die Knospen in den gewohnten Winkel des Ganges, öffnete die Türe, kam zum Lager heran, neigte sich über sie, hauchte sie an, hockte sich auf die Gewandtruhe, seufzte tief auf und war verschwunden. Um Ostern starb die Tochter.

Das Ahnungsvermögen gewisser Leute, den Tod anderer oder ihrer selbst vorauszubestimmen, nennt man mit einem wunderbaren Worte, wie ein solches unsere arme Schriftsprache nicht kennt, „Fürweiling". Sterbende Verwandte oder Freunde, bei deren Tode man nicht zugegen sein kann, „melden" sich an, um Abschied zu nehmen.

Ein Schwerkranker, der am Bettzeuge klaubt, stirbt zweifellos.

Liegt wer in den Zügen, soll man die Tür oder Fenster öffnen, damit die Seele hinaus kann.

Ebenso muß man eine geweihte Kerze anzünden, um die bösen Geister, die Besitz von der entfliehenden Seele nehmen wollen, zu vertreiben.

Wenn der Sterbende im Tode die Augen nicht schließt, folgt bald wer nach.

Der Spruch: „Vom Mund auf in den Himmel kommen", beruht auf der Anschauung, daß die Seele fast körperlich durch den Mund entweicht, oft in Gestalt einer weißen Taube.

Auf dieselbe Anschauung gründet sich die Meinung, daß die Seele eines Gehängten nicht in den Himmel fahren könne (bei zugeschnürtem Halse), sondern durch die gegenteilige Öffnung zur Hölle fahren müsse.

In der Schennaner Gegend sterben entweder drei schnell nacheinander oder lange niemand.

Von zwei Brautleuten stirbt jenes früher, auf dessen Seite bei der Trauungsmesse die Kerzen schlechter brennen.

Am krummen Mittig [Mittwoch] der Karwoche zu sterben, ist kein Vergnügen, weil man beim Begräbnisse am Karfreitag kein Glockengeläuts hat. Wischt sich bei der Bestattung der hinterbliebene Teil der Eheleute beim Aufstehen den Staub von den Knien, so findet bald wieder eine Hochzeit statt. Nach der Leichenfeier ist der Totentrunk, Pitschen, Brauch. Verwandte und Freunde im weitesten Sinne sind (bei uns meist in einem Gasthause) zu Wein, Käse und Brot geladen. Der Pitschen ist ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit, wo das Ableben als ein Freudenfest gefeiert wurde, da der Tote nun, aller irdischen Trübsal ledig, eingegangen ist zu dauernder Freude. Nächtlicherweile ging ein Metzgers (223) mit seinem Hund an den Partschinser Auen vorüber. Als er zur sogenannten Naßau kam, zog ein Leichenzug vor ihm daher. Der sonst mutige Hund zog den Schwanz ein und schmiegte sich knapp an seinen auch nicht wenig erschrockenen Herrn, der dem Zuge wie ein Leidtragender folgte und betete. Bei einem Feldsteig zur Rechten machte der Metzger ein Kreuz und schlug den Pfad ein. Da war der Spuk fort. Das Volk glaubt, es sei vor Zeiten in dieser Au eine Mordtat verübt worden.

Unter der dunklen Oberfläche des Jocher-Sees (224) liegen zwei sonst sehr verschiedene Männer vereint begraben. Der eine, ein Graf Fuchs von Lebenberg, ist uns schon als Mörder seines Schloßkaplans in Erinnerung, der andere ist — Pilatus, der Christus kreuzigen ließ. Wenn der See murrt und wogt, sagen die Leute: Pilatus und Graf Fuchs raufen miteinander. In diesem See liegt auch noch (nicht der, sondern) ein Hund (225) begraben, und zwar ein rabenschwarzer. Triefend steigt er bisweilen ans Ufer und legt sich dort in die Sonne. Was es damit für eine Bewandtnis habe, weiß niemand.

Der See (226) soll sogar mit dem Kalterer See zusammenhängen. Es fiel nämlich einmal eine Kuh in das Gewässer und ertrank. Nach einem Monat zog ein Fischer ihre Schelle samt Riemen, auf dem der Name des Eigentümers (eines Marlingers) stand, aus dem Kalterer See.

Auf dem oft weiten Wege vom Hause eines Verstorbenen bis zum Friedhofe müssen die Träger des Sarges manchmal rasten, hiezu sind bestimmte Punkte (meist Wegkreuzungen) ausersehen und als „Totenrast" gekennzeichnet durch Kapellen, Bildstöcke, Kreuze oder Marterln, die alle am unteren Teil einen Sarg aufgemalt haben. Wenn irgendmöglich befindet sich dort auch eine bildliche oder plastische Darstellung von Menschen, die aus einem fürchterlichen Flammenmeere bittend die Hände zum Vorübergehenden emporstrecken. Es sind die Armen Seelen, die um ein christliches Gedenken flehen, um ein Vaterunser, um ihre Erlösung aus den Qualen des Fegefeuers. Diesem Gedenken dient auch der feierliche Umgang zwischen den blumengeschmückten, lichterflimmernden Gräberreihen am Nachmittage von Allerheiligen und am Morgen von Allerseelen.

Von der Befreiung Armer Seelen handeln viele Sagen:

Auf der Totengruftstiege der Meraner Barbara-Kapelle (227) watschelte viele Jahre lang eine dicke Kröte auf und ab. Man mochte sie wegschleudern oder gar töten, am folgenden Quatembertage saß sie wieder auf den Stufen. Da merkte eine fromme Person, daß das scheußliche Tier eine Arme Seele sei, fragte es nach den Bedingungen der Erlösung und erfüllte sie getreulich. Nachdem alles abgebüßt war, verwandelte sich die Kröte in eine blühweiße Taube und flog vor den Augen ihrer Befreierin zum Himmel. Auf dem Gratscher Steffelhofe hausten zwei Schwestern (228) und sie redeten untereinander aus, übers Jahr nach Weißenstein zu wallfahrten. Inzwischen starb aber eine. Die andere ersuchte, als der Tag der Wallfahrt da war, eine Leitertochter mitzugehen, damit sie nicht so allein wäre. Ein Stück unter Weißenstein klammerte sich auf einmal eine Hötsch (große Kröte) an den Rock der Stefflin, die keinen üblen Grausen bekam. Alle Versuche, das Tier abzuschütteln, waren umsonst, immer fester klammerte es sich an den Kittel. Schließlich schleuderte das Weib die Kröte mit Gewalt von sich und den Berg hinunter. Doch oben beim Eingange zur Kirche kroch ihr die Hötsch entgegen und quakte: „Wenn du auch deine Schwester über den Berg hinabgeschmissen hast, ich bin doch dal"

Auf einer Votivtafel in Weißenstein sollen die beiden Pilgerinnen mit der Hötsch zu sehen sein. Alle großen Kröten sind Arme Seelen und man glaubt vielfach, daß manch verstorbener Bauer auf seinen Feldern in dieser Gestalt ungebüßte Sünden tilgen müsse.

Daß Geister zuerst schwarz, nach der Erlösung aber weiß erscheinen, erinnert an Orestes, von dem Pausanias berichtet, daß ihm die Erynien (Rachefurien) zuerst schwarz, nach der Erlösung aber weiß erschienen seien.

Einer träumte, er solle an einen bestimmten Ort der Lananer Auen hingehen, dort werde er eine Schlange (229) treffen; die soll er sich dreimal um den Hals kriechen lassen, dann werde er eine Arme Seele befreien und überdies einen Schatz gewinnen. Wirklich war es so.

Doch, nachdem die Schlange zum dritten Male um den Hals sich herumgeschlängelt hatte, streckte sie schmeichelnd ihren Kopf gegen den Mund des Lananers und wollte ihn küssen. Da erschrak er über die Maßen, schüttelte die Schlange ab und sie war augenblicklich verschwunden.

Viel Aufsehen machte zu Anfang des Jahres 1832 eine Erscheinung beim Bruggertörkele. Kinder sahen dort oft ein geheimnisvolles Fräulein (230) mit einem goldenen Kistchen in den Händen. Es sprach kein Wort, war bald grün, bald rot, bald gelb gekleidet und tat mit den Kindern sehr freundlich. Zwei Mädchen erlösten endlich das gebannte Fräulein durch fleißiges Gebet. Das eine starb bald nach seinem frommen Werke, das andere ward später eine reiche Bäuerin. Viele Meraner und Maiser liefen damals zum Torkele, um das Wesen zu sehen. Diese Sage wird auch etwas anders (231) erzählt: Eines der beiden Mädchen nahm dem Fräulein das Kistchen ab und da flog eine schneeweiße Taube gegen Kathrein in der Scharte, das Fräulein aber ward nie mehr gesehen, denn es war erlöst.

Nicht nur Kindern und Heiligen muß man Versprochenes halten, wenn man sich nicht oft unangenehmen Mahnungen aussetzen will, auch die Toten „maren" sich, wie es einem Schennaner Bauern (232) geschah, daß er zeitlebens daran dachte. Seine Viehmagd war gestorben und hatte ihm ihr kleines Vermögen vererbt unter der Bedingung, daß er ihr die üblichen Seelenmessen halten lasse. Der Bauer aber dachte, daß die Lebenden mehr Recht hätten, und trug kein Geld zum Pfarrer. Doch in der neunten Nacht kam der Geist der Viehmagd, trat zum Bett des Bauern und würgte ihn dermaßen, daß er blau und grün wurde. Nun war er belehrt, daß die Toten auch ihr Recht hätten, und gab der leidenden Seele, was ihr gebührte.

Im gleichen Dorfe fand ein Bauernmädel, das erst zwanzig Jahre zählte, aber kränkelte, auf einem Grabe einen schönen weißen Menschenzahn (233). Sie tat ihn daheim in ihre Truhe. Nachts hörte sie ein unheimliches Geräusch im Schreine, als ob jemand heraus wollte. Sie dachte an den Zahn, legte ihn morgens an die gleiche Stelle des Freithofes und betete andächtig für den Verstorbenen. Doch in der folgenden Nacht rumorte es wieder im Kasten bis zum Morgenläuten. Als das Mädel die Truhe öffnete, lag der Zahn darin. Nun warf sie ihn betend in die Beinergruft. Da gab es ein Gerassel, als würde ein Korb voll Knochen ausgeschüttet. Nach dem Zwölf-Uhr-Läuten sperrte das Mädel den Schrein auf und der Zahn war schon wieder da. Sie erschrak und rief aus: „Das ist mein Tod!" Sie wagte nicht mehr den Zahn zu berühren und saß betend bei der Truhe, bis man den Pfarrer holte, der den Zahn segnete und in frischgeweihter Erde begrub. Als er vom Friedhofe zurückkehrte, um das Mädchen zu trösten, sagte sie: "Der Zahn ist wieder in der Truhe!" Und es war so. Der Priester wagte es auch nicht mehr ihn zu berühren, in der folgenden Nacht starb das Mädchen und der Zahn war weg. Kurz vor dem Tode soll es gesagt haben: „Jetzt weiß ich, von wem der Zahn ist." Wenn zwei zugleich nießen oder zwei zugleich „denselben Gedanken haben", wird eine Arme Seele erlöst. Bei den Seelenmessen erscheinen die Verstorbenen oft dem zelebrierenden Geistlichen und sagen ihm, wo sie sind.

Sie erscheinen aber auch anderen unter allerlei Formen und Gestalten als Geister und Gespenster, Doch dürfen sie nur umgehen vom Abendläuten bis längstens zum ersten Hahnenschrei. Sie „geistern" am liebsten zu den heiligen Zeiten, wie in den Zwölften, zu Ostern, Pfingsten, Quatember. Solch freies Umherwandeln streift an die Ansicht der alten Römer von jenen Tagen, an denen die Schatten der Schweigenden ungehindert in der Unterwelt aus- und einfahren konnten.

Wehe dem, der über Geister spottet; sie kommen und strafen exemplarisch.

Sagt man zu einem Gespenst: „Alle Geister loben Gott den Herrn!" so kann einem nichts geschehen. Wenn man die Frage anhängt: „Was ist dein Begehren?" dann antwortet der Geist.

In der Moser Au bei Vorst [Forst] ritt früher oft ein Gespenst (234) auf und ab. Es war ein Reiter, der den Leuten eine Tasche mit goldenen Buchstaben vorhielt, aber niemand nahm sie ihm ab. Man hätte seine Seele wohl erlösen können. In der Au sieht man blaue Flämmchen, die zweifelsohne Arme Seelen sind

Im Schlosse Vorst selbst (wir wissen es schon von früher) ist es ganz gewiß nicht geheuer (235). Als Knechte im Schloßhofe dengelten, bemerkten sie plötzlich Herren mit dreieckigen Hüten an den Fenstern und einem Müller begegnete zur Mitternacht am Schlosse ein langer Leichenzug.

Ähnliches konnte einem am anderen Etschufer im Kloster Steinach (236) begegnen. Als im Sommer 1836 die Cholera auch im Burggrafenamte ihre Verheerung begann, hörten die Bewohner des Klosters und die Leute des anstoßenden Klosterbauern einmal um Mitternacht lauten Gesang im Konvente. Es wurde ganz deutlich der Psalm „De profundis" gesungen. Kurz darauf brach die Cholera ins Kloster ein und forderte mehrere Opfer. Geister gingen schon früher oft um und man hörte im Chore singen.

Im Marlinger Gerichtshause (237) gibt es große Keller und Gewölbe, die früher Kerker waren. Als einmal die Bäuerin um Holz hinunterstieg, stand ein geharnischter Ritter vor ihr. Sie eilte erschrocken weg, Leute zu holen, die aber keine Spur mehr von einem Ritter entdeckten.

Kinder, die im selben Hause (238) spielten, sahen, wie plötzlich ein unförmlicher Schober vor ihnen stand, sich in Bewegung setzte und durchs Fenster in das Gewölbe schlüpfte. Ob diese Erscheinung im Zusammenhange steht mit der des Ritters, ist schwer zu enträtseln. Um Allerseelen soll man ein Ollämpchen anzünden und über Nacht brennen lassen. Die Armen Seelen kommen und bestreichen sich die Brandmale mit linderndem Öl.

Hans Matscher, Allerheiligen

Nach Allerseelen hebt es auch in anderen Gewölben an, bedenklich zu "geistern": in der Torggel und Ansetz. Dort, in der Düsternis brodelt und rauscht es unheimlich; auch hier werden „Geister" geläutert in der Hitze der Gärung, so daß sie hell und klar ans Licht treten, um Seligkeiten zu verbreiten. Der gereinigte Geist, der neue Wein ist da, das Öl so manches Lebenden, mit dem er die Brandmale des Alltagskampfes mildert.

Und die Meraner pilgern hinaus in die umliegenden Weindörfer zum Weinkosten und Weintrinken, zum "Törggelen". Der süße, warmwohlige Hauch gebratener Kastanien streift über die Marktplätze und zieht um die Bauernhöfe.

Früher einmal hatten es die Meraner Bürger nicht so gut. Just wenn der Wein zu gären anhub, von Michaeli, den Winter durch bis Ostern, wurde um sieben Uhr abends vom Pfarrturme ein eigenes Glockenzeichen gegeben: das „Weinausläuten" oder „Hußausläuten", wie in der Kirchenordnung des Jahres 1559 zu lesen. Alle Gäste in den Wirtshäusern und Weinschänken mußten auf den mahnenden Ruf der „Weinglocke" hin sogleich den Krug verlassen und sich heimbegeben.

Mit dem Hußausläuten hat es wohl folgende Bewandtnis:

Der Ketzer Huß war auf seinen Reisen auch nach Hall gekommen. Dort verkündete er voll Eifer seine Lehre. Da trat ein katholischer Priester mutig wider den Irrlehrer auf. Unter großem Zulaufe hielten sie in einer Kirche ihre Kontroverspredigten. Huß wurde gänzlich besiegt und mußte mit Schand und Spott die Stadt verlassen. Während er zum Tore hinausging, läutete man ihm das Armesünderglöckl. Als Erinnerung an diesen Vorgang blieb der Gebrauch des Hußausläutens.

Wer weiß, ob dieses nicht herüberklang in unsere Gegend, in der die reformatorischen Ideen nicht wenig Anhänger hatten, um den oft nicht sehr auferbaulichen Wirtshauskontroversen und abendlichen Zusammensitzen ein vorzeitigeres Ende zu machen! Auf den 6. November fällt Leonhard, der Patron für das Gedeihen und gegen die Erkrankungen des Viehes. In der Maiser Pfarrkirche war früher auf einem Altarblatte zu Ehren des Heiligen zu lesen: „0 heiliger St. Leonhard, du großer Viehpatron, bitt' für uns arme Maiser!"

Auf dem Lande hat sich die Arbeit aus der " Öffentlichkeit" von Acker und Wiese schier ganz in Torggel, Keller,Scheune und Stall zurückgezogen. Martini (11. November) ist Bauernfeiertag. Der Heilige hat das Amt eines vielfachen Kirchen-patrones. Er hat die für die Mehrzahl unangenehme Eigenschaft, ein Zinstag, ein bäuerlicher Fälligkeitstermin zu sein, anderseits bereitet er die Freude der Martinigans. Wie der Heilige zur Gans kommt? Lehens- und Zehentsleute der Klöster hatten an diesem Tage die Gänse zu schlachten und die Daunen für die Winterbetten der Klöster abzuliefern. Manchenorts ist Martini statt Lichtmeß Schlenggeltag.

„Kathrein (25. November)
stellt Räder und Tanz ein."

Weil das Rad, mit dem die heilige Jungfrau und Märtyrin Katharina gemartert werden sollte, zersprang, sollen an diesem Tage alle Räder stille stehen. Die Müller sollten nicht mahlen, die Fuhrleute nicht fahren, die Weiber nicht spinnen, Burschen und Mädeln sich nicht drehen. — Daß zu Kathrein der Tanz eingestellt wird, hat freilich auch noch einen anderen Grund. Um diese Zeit beginnt nämlich die Adventszeit, während der bekanntlich das kirchliche Tanzverbot besteht.

Ein Wahrzeichen des Burggrafenamtes ist das Kirchlein Katharina (Kathrein) in der Schart (239). Es gilt als uraltes Heiligtum. In den heidnischen Zeiten stand an gleicher Stelle ein Tempel, der dem Sonnengotte geweiht war, geht doch gerade dort oben die Sonne auf. Übrigens hörten wir schon früher, daß Katharina mit dem Marter-Rade häufig an Stelle der Sunna mit dem Strahlenrade getreten ist. Die Nacht zum Andreastag (30. November) ist mit unheimlichem Zauber ausgerüstet. Neu- und liebegierige Mädchen können, wenn sie geschmolzenes Blei in kaltes Wasser gießen, aus den Gebilden des erhärteten Metalles auf Stand oder Handwerk ihres Zukünftigen schließen, namentlich wenn ein insgeheimer Herzenswunsch als Vater des Gedankens die Phantasie beschwingt. Der Tag ist von so besonderer Weihe, daß, wer an diesem stirbt, „vom Mund auf" in den Himmel kommt.

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 221ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Dezember 2005.
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