Die Salige zu Oberhamm

Eines kalten, nassen Winterabends, deren es im Oberland so viele gibt, sprach beim Oberhamm in Ratschings ein fremdes Fräulein um Arbeit und Nachtquartier vor. Die gutherzige Bäuerin wußte nicht, wen sie vor sich hatte und gab der Fremden, die eine Salige war, trockene Kleider, Speise und Trank und brachte das erschöpfte Kind zu Bette.

Tausendfach lohnte die Salige der guten Bäuerin Wohltaten, schaffte unentgeltlich vom frühen Morgen bis in die späte Nacht in Haus und Stall und brachte Glück, Wohlstand und Segen über den Hof. Des Bauern Kinder hingen an ihr wie an einer Mutter und das Vieh im Stalle gedieh prächtiger denn je.

Dabei war aber die Salige bildhübsch und begehrenswert, so daß es ihr an Bewunderern und Heiratbewerbern wahrlich nicht fehlte. Mit ruhigen Worten schlug sie alle Anträge aus, ihre melancholischen Lieder klangen noch wehmütiger denn je, ihr Ansehen und die Achtung stieg im Tale aber von Tag zu Tag.

Als nun des Bauern Wohlstand am höchsten stand und er denselben als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten begann, vernahm er eines Abends, da er von einem Sterzinger Markt heimwärts ging, aus den Mareiter Wänden eine fremde Stimme, die rief:

"Oberhamm, Oberhamm, mit dem weißen Schimmel,
sag zu deiner Dirn, die Loade ist tot!"

Als er zu Hause diesen Vorfall erzählte, begann die Salige bitterlich zu weinen und war am nächsten Morgen auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

Quelle: Fink, Hans, Eisacktaler Sagen, Bräuche und Ausdrücke. Schlern-Schrift Nr. 164, Innsbruck 1957, S. 51 f.