DIE PEST IN DER BRIXNER GEGEND

Zur Pestzeit starb beinahe das ganze Tal Schalders aus. Man konnte die vielen Leichen nicht mehr im Friedhof begraben; daher schaffte man sie zum Häusler-Kreuz hinaus und scharrte sie dort ein. Später stießen die Bauern dort noch oft auf Menschenknochen. Auch ist's seither beim Häusler-Kreuz unheimlich.

In St. Andrä nahmen die Leute ihre Zuflucht zu den Gnadenbildern in der Frauenkirche und auf Freienbühel und erwirkten völlige Verschonung von der Seuche, ebenso die Kleranter durch die Fürbitte der drei heiligen Jungfrauen, die im Deckengewölbe der Kirche zu Klerant in einem sehr ansprechenden Gemälde dargestellt sind. Sie heißen dort St. Ampet, St. Gewer und St. Kruen, und jede hält eine Kugel in der Hand. Sankt Ampet hält in der Rechten eine silberne Kette, St. Gewer drückt die Linke an die Brust, und St. Kruen streckt die Rechte segnend empor. Die Zweitgenannte sitzt in der Mitte im Vordergrund und ist vornehmer gekleidet als die beiden andern. Aber alle drei tragen Zackenkronen auf dem Haupte. Zu Melaun dagegen hat die Pest arg gehaust. Die Toten wurden ober dem Dorfe in einem abgelegenen Wiesenfleck, Todeben genannt, verscharrt. Eine Stimme rief herab ins Dorf:

"Hatt' ös gössen Bibernell,
wart ös g'sund wordn wieder schnell."

Lüsen starb dreimal an der Pest beinahe ganz aus. Einmal waren nur mehr zu Nidrist ein Paar Kinder, das zweitemal zu Laseit ein Weib übriggeblieben. Das Tal wurde wieder von Pfitschern bevölkert.

Die Schafweide der "Kropfländer" (in Huberoblat) wird auch "G'schick" genannt. Es ist eine Waldlichtung auf der schattseitigen Berglehne. Dahin flohen zur Pestzeit die Lüsner mit Weib und Kind und dem Vieh. Aber die Seuche kam auch nach G'schick hinauf und wütete unter den Flüchtigen. Die da oben an der Pest verstarben, begrub man auch oben, und noch heißt jener Totenplatz das "Freithöfel". Noch vor nicht langer Zeit sah man daselbst zwei ausgehöhlte alte Weihbrunnsteine. Der eine davon ist später in drei Stücke zerfallen.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 145 f.