DER GEIGER AUF DEM FRIEDHOF

Vor langer Zeit in einer kalten Winternacht kam zum Duregger in St. Peter ein fremder Mann aus dem Pinzgau und bat um Essen und Nachtquartier. Der Bauer gab seiner Bitte nach, knüpfte aber an sie die merkwürdige Bedingung, der Pinzgauer müsse um Mitternacht mit einer Geige zum nahen Friedhof hinaufsteigen, dort spielen , mit dem Kirchenring dreimal an das Kirchentor schlagen und dabei rufen: "Ich greife an den Kirchenring, steht auf ihr alten Bärschteling".

Wenn er dies täte, und alles ginge gut, so sollte er eine schöne Kuh als Lohn erhalten. Der Pinzgauer wunderte sich nicht wenig, aber er war ein neugieriger Mann und wollte sehen was passierte.Um Mitternacht stieg er zum Friedhof hinauf, geigte, schlug mit dem Ring dreimal an das Kirchtor und rief den Spruch. Auf einmal öffneten sich die Gräber, die Toten stiegen heraus, und einer stellte dem Pinzgauer die Frage, ob er etwa wegen der versprochenen Kuh gegeigt und gerufen habe. Als der Mann bejahte, fielen die Toten über ihn her und rissen ihn in tausend Fetzen. Am darauf folgenden Tag kam wiederum ein Pinzgauer zum Duregger und bat um Essen und einen Schlafplatz. Der Bauer stellte dieselben Bedingungen wie am Vorabend und der Mann willigte nur widerwillig ein.

Ob er etwa auch wegen der versprochenen Kuh gegeigt und gerufen habe, fragten die Toten, und der Pinzgauer erwiderte er habe es nur getan um nicht zu verhungern und erfrieren. Ihnen aber, den armen Seelen möge Gott die ewige Ruhe geben.

Daraufhin wurde es still auf dem Friedhof, beruhigt legte sich der Pinzgauer schlafen. Am nächsten Morgen stand im Stall des Duregger eine wunderschöne Kuh; niemand wusste woher sie gekommen war, dem Duregger gehörte sie jedenfalls nicht.

Es wird noch eine zweite, weit weniger dramatische Variante dieser Sage erzählt: Am Abend nach einem Kiehkemma versprach der Duregger aus St. Peter demjenigen seine schönste Kuh, der es wage mit Geigenspiel und dem genannten Spruch auf dem Friedhof um Mitternacht die Toten zu erwecken. Einer wagte es schließlich und die Verstorbenen ließen ihn ungeschoren. Der Duregger hielt aber sein Versprechen nicht ein, worauf dann zur Strafe an jedem Stichtag in seinem Stall ein Stück Vieh einging.
(gesammelt und aufgeschrieben von Steger Konrad)


Quelle: Copyright © Konrad Steger
nach mündlichen Erzählungen von AhrntalerInnen
Fink, Hans: Zur Sagenwelt des Ahrntales. In: Das Ahrntal. Heimatkundliche Beiträge. Sonderdruck "Der Schlern" Nr. 7/8 1978, S. 89- 96.
Bei uns erzählt man... Geschichten aus dem Ahrntal. Broschüre der Klasse 3E der MS St. Johann, 1989/90.