7. Der Wampyr. (Aráchoba. Vampir)

Einst wurde an einem Orte ein Mensch getödtet und blieb lange Zeit unbestattet liegen. Endlich fand man ihn und begrub ihn in dem Dorfe, welchem er angehörte. Einige Zeit nachher bemerkten die Bewohner dieses Dorfes, dass ihnen ihre Eier, Hühner, Ziegen und Schafe abhanden kamen, und sie wussten sich das nicht zu erklären. Als nun ihr Priester einmal Nachts nach der Kirche ging, sah er, wie ein Teufel aus dem Grabe jenes Ermordeten stieg und in die Ställe der Leute einbrach; auch begab sich derselbe vor das Haus der Wittwe und rief hier gerade so, wie jener, als man ihn tödtete, gerufen hatte: 'O ich Armer! Warum ermordet ihr mich? Menschen werde ich dafür verschlingen!' Der Priester benachrichtigte seine Gemeinde von dem, was er gesehen und gehört hatte. Da nahm ein Greis das Wort und sprach zu den Bewohnern des Dorfes: 'Der Teufel, welcher aus dem Grabe steigt, ist niemand anderes, als jener Ermordete, welcher zum Wampyr [Vampir] geworden ist. Wie derselbe damit angefangen hat unsere Eier und unser Vieh zu verzehren, so wird er nachher auch seine Verwandten verschlingen und endlich uns alle. Wir müssen also dem vorbeugen. Wie ihr wisst, verlassen die Wampyrn Sonnabends ihre Gräber nicht. Wir müssen nun vor allem einen an einem Sonnabend Geborenen ausfindig machen und ihm das Grab des Wampyrs zeigen. Der wird schon wissen, was er zu thun hat.' Die Bauern folgten dem Rathe des Alten, machten einen am Sonnabend Geborenen ausfindig und trugen ihm die Sache vor. Derselbe sprach zu ihnen: 'Siedet zwei Kessel voll Essig, härtet einen Bratspiess im Feuer und haltet eine Axt, einige scharfe Messer und einen Mantel in Bereitschaft. Am Sonnabend vor Sonnenaufgang bringen wir alle diese Gegenstände an das Grab des Wampyrs.' So geschah's. Am Grabe angekommen wusch sich das Samstagskind zuerst Gesicht und Hände in Essig. Darauf nahm er den Mantel, befestigte ihn dem Grabe gegenüber an einem Baumstamme und faltete ihn so, dass man glauben konnte, es sei ein Mensch darin eingehüllt. Nun ergriff er die Axt und fing an das Grab zu öffnen. Und der Wampyr unten in der Erde hörte das und stöhnte und drohete, indem er rief: 'Wer ist das? Ich werde ihn verschlingen.' Jener aber entgegnete: 'Erst will ich dich ans Tageslicht ziehen, dann verschlinge mich.' So ward denn der Wampyr ausgegraben. Es war eine grosse, wohlgenährte Gestalt, von blühendem Aussehen und mit wild rollenden Augen. Zornig wandte er sich an den am Sonnabend Geborenen und sprach: 'Wer hat mich verrathen?' - 'Der dort drüben,' antwortete jener, 'der an dem Baume lehnt.' Er hatte kaum diese Worte gesprochen, da war der am Baum befestigte Mantel mit einem Male verschwunden: der Wampyr hatte seine Flammen auf ihn ausgehaucht und ihn verbrannt. Nun aber packte das Samstagskind den Wampyr, schnitt ihm den Leib auf, nahm das Herz heraus, durchstach es mit dem Bratspiess, warf es in den einen der beiden mit Essig angefüllten Kessel und zerkochte es. Dann goss er den Essig ins Grab auf den Wampyr, warf auch die Axt nebst allen übrigen gebrauchten Gegenständen hinein und schüttete es wieder zu. Hierauf wusch er sich die Hände und ging mit den übrigen fort. Und nun war der böse Geist von dem Orte verschwunden.

Quelle: Bernhard Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder. Leipzig 1877. S. 139 - 140.
(Nachdruck: Hildesheim, New York, 1978)