90. Rübezahl führet Wurzeln und Kräuter zu Markte auf einen Karrn oder Ziegenbock.
Rübezahl führt Wurzeln und Kräuter

Viele Seltenheiten hat oft gedachter Berggeist die Zeit zu passieren angegeben. Einsmals wollte er in einer nahe am Gebürge [Gebirge] gelegenen Stadt reisen, und wußte eigentlich nicht, was er darinnen fürnehme zu verrichten. Dahero entschloß er bei sich, Wurzeln und Kräuter hineinzufahren, solche vor Rüben, Möhren und Kohl, als wann er's von Liegnitz heraufgebracht, zu verkaufen. Als er nun ein gut Teil der Kräuter beisammen hatte, mangelte ihm ein Schiebkarren, damit er's fortbringen könnte; ging derohalben bei dem nächsten Dorf zu einer Herde, holete ihm einen stattlichen Ziegenbock und band demselben einen Korb voll seiner Ware auf dem Puckel; fassete ihn darauf bei den Hinterbeinen und trabete also mit ihm nach der Stadt zu. Unterwegs erwischte er einen Bären, den band er feste an des Bocks Hörner, daß er mitziehen mußte. Sobald sie das Stadttor erreicht hatten, hub Rübezahl an, seine Waren auszurufen; da denn die Leute, so solches höreten, stehen blieben und den Ausrufer ansahen und endlich fragten, was er da habe; denn sie konnten ihn nicht recht verstehen, weil er heiser schrie. Bisweilen fing der Bock an zu meckern und reckte die Zunge heraus, daß es recht possierlich anzusehen war, denn dieser mochte seiner Last zu tragen genug haben; gleichwohl wollte dieser Kräuterbaur seine Ware los sein. Als er nun nebst einem Gefolge die Gasse hinauffuhr und nahe an den Markt kam, begunnte er wieder zu rufen und zu schreien; darauf eilte viel Volks herzu, daß sie sehen möchten, was er da hätte. Mit dieser Manier, und weil dieser Mann seine Sachen wohl zu loben wußte, auch sonst guten Kauf gab, wurde er sie bald los. Nun wäre er auch gerne seinen Karren los gewesen, es wollte sich aber kein Käufer dazu finden; sagten: Es ist ein alter böser Karrn, Ihr mögt ihn immer weggeben. Rübezahl sagte: Das laß ich wohl bleiben; sehet, ihr guten Leute, was dies noch vor ein guter brauchbarer Karren ist! Setzte sich damit auf den Bock und ritte als ein stolzer Reiter immer zum Tore hinaus. Eil? jeder, der es mitansahe, verwunderte sich über diese possierliche Reiterei, sonderlich über den Bären, der sich tummeln mußte, daß er vor Angst nicht wußte, wohin. Nachdem nun dieser fort war und die Leute ihre gekaufte Sachen recht besahen, wurden sie gewahr, daß anstatt der Küchenspeise sie allerhand rare Wurzeln und Kräuter bekommen hatten; womit sie endlich gar wohl zufrieden waren, indem sie ihr ausgelegtes Geld dreifach daraus wieder löseten.

Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 85f
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