115. Rübezahl betreuget viel, die nach der Vogelstange schießen.

Am Sattlersgeselle plauderte mir für, wie ihme ein alter Greis in Böhmen nachfolgende Schwänke erzählet hätte: daß nämlich an einem Orte die Bürgerschaft einen Vogel von der Stange hätten wollen abschießen, darzu sie denn flugs nach Johanni die Praeparatoria gemacht und den hölzern Vogel in die Höhe gebracht hätten. Wie dieses geschehen, da wäre schleunig ein großer Regen eingefallen, also daß die Leute ihre vorgenommene Lust etliche Tage hätten müssen weiter aufschieben und den Vogel unterdessen im freien Felde stehen lassen. Mittlerweile soll der Rübezahl den hölzern Vogel abgezogen haben und sich, an dessen Statt, auf die Spitze gesatzt han: drüber es denn gut Wetter geworden und die Bürger ihr Schießen vorgenommen. Indeme sie nun aber drüber hergewesen und ihre Pfeile nach den Vogel Hingeballestert, da waren solche alle in den Vogel stecken geblieben, die ihn getroffen hatten, bis daß endlich die Schützen mit großer Verwunderung alle ihre Pfeile losgeworden, indem keiner nicht wieder hat wollen herunterfallen. Wie nun endlichen der letzte Schoß geschehen und gar kein Pfeil mehr war übrig gewesen, da war der Rübezahlische Vogel mit allen angepackten Pfeilen davongeflogen; und hatte den Herren Schützen die Frage hinterlassen, wer nunmehr unter sie den Vogel abgeschossen hätte und König geworden wäre?

Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 107f
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