220. Das Pathengeschenk.

In der Gegend von Stralsund lebte einstmals eine fromme Frau. Als die eines Abends gerade in der Postille las, klopfte es an ihre Thür, und es trat ein ganz kleines Fräuchen herein. Das war eine Kindtaufbitterin der Unterirdischen, und ladete die fromme Frau zur Kindtaufe ein. Diese erstaunte zwar darüber, sagte aber endlich zu, und das fremde Weiblein versprach darauf, sie abzuholen. Nach ein paar Tagen kam die Unterirdische wieder und holte die Frau ab. Sie führte diese aber nicht aus dem Hause, sondern durch die Hofthüre in ihren eigenen Kuhstall, und dort ging sie mit ihr eine Treppe hinab, welche die Frau vorher noch nie gesehen hatte. So kamen sie in ein schönes Gemach, wo viele Unterirdische waren, und die Kindtaufe gehalten wurde. Als diese vorbei war, gaben alle die unterirdischen Frauen der Kindbetterin ein Pathengeld. Daran hatte die fromme Frau aber nicht gedacht, und sie hatte nichts bei sich. Sie wollte sich darüber sehr entschuldigen, aber die Unterirdischen sagten ihr, das schade nichts; sie baten sie dagegen, daß sie doch den Kuhstall verlegen möge, indem die Jauche ihnen gerade auf ihren Tisch komme. Das versprach die Frau, und sie waren darüber sehr froh. Die Frau hat auch ihr Versprechen gehalten.

Mündlich.

Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 220