Der heilige Anscharius.
(831-865.)
Karls des Großen Absicht: das von ihm gegründete
Hamburg nicht nur zu einem Bollwerk der Christenheit gegen die germanischen
und slawischen Heiden im Norden und Osten, sondern auch zu einer Pflanzstätte
christlicher Lehre und Bildung zu erheben, wurde von seinem Sohne und
Nachfolger gefördert. Und als deshalb im Jahre 831 Kaiser Ludwig
der Fromme Hamburg zum Sitz eines Erzbisthums gemacht hatte, wurde Anschar,
ein junger dreißigjähriger Mönch, erzogen für seinen
ernsten Beruf in dem berühmten Kloster zu Corvey, der bereits als
Missionar die Länder des Nordens durchzogen hatte, zum Erzbischof
von Hamburg erkoren. Des Kaisers Bruder Drogo, Erzbischof von Metz, weihte
ihn, und nachdem der Papst Gregor IV. ihm den erzbischöflichen Mantel
geschickt hatte zum Zeichen seiner Bestätigung (834), kam er, sein
hohes Amt anzutreten, nach Hamburg, wohin er, außer vielen Reliquien
und werthvollen Heiligthümern, auch eben so viel frommen Eifer als
Geschick zur Erfüllung seiner Bestimmung mitbrachte.
Hamburg war damals noch ein kleiner Ort. Ein Castell, eine Kirche, einige
Wohnungen der Geistlichen, einige Gassen rings umher, etwa von dem Umfange
des heutigen St. Petri-Kirchspiels. Anschar vergrößerte sogleich
die Kirche, den Dom, den er herrlich ausschmückte, errichtete daneben
ein Kloster, daß er mit Benedictinern aus Corvey besetzte, und gründete
eine von diesen besorgte Schule, welcher der Kaiser eine kostbare Bibliothek
schenkte. Dies war die Pflanzstätte, aus der die Heidenapostel des
Nordens hervorgingen. Leibeigene Knaben kaufte Anschar von den Dänen
und Slaven der Umgegend, und ließ sie für denselben Zweck erziehen
und ausbilden. Er baute rings umher im Holsteinischen viele Kirchen, z.
B. zu Bramstedt, Kellinghusen und in dem heutigen Dorfe Willenscharen
an der Stör, dessen Name aus Villa Anscharii entstanden ist. Er sorgte
für Schulen und Armenpflege, spendete geistlich wie leibliche Wohlthaten,
wo er nur konnte, und bereis'te unablässig seinen weiten Kirchensprengel,
um selbst seine begonnenen Werke zu fördern. Kaiser und Papst unterstützten
ihn bereitwillig, und er selbst gab gern sein väterliches Erbe dem
Dienste Gottes hin, in Demuth und Mäßigkeit mit ärmlichster
Nahrung und Kleidung zufrieden. Glücklich gedieh sein Werk, und auch
die kleine Stadt Hamburg blühte unter seinen Augen immer stattlicher
auf.
Als aber (840) Kaiser Ludwig verstorben war, da begannen mancherlei Drangsale
das Erzstift Hamburg heimzusuchen. Die zu Anschar's frommen Zwecken angewiesenen
Einkünfte des reichen Klosters Turholt in Flandern wurden ihm entzogen;
daß er selbst mit seinen Priestern in Folge dessen kärglich
leben mußte, bekümmerte ihn wenig, aber daß er nun seine
Wohlthätigkeit verringern, seine Fürsorge für Hamburg beschränken,
und den innern Ausbau des Erzstifts wie das Werk der Heidenbekehrung fast
ganz einstellen mußte, das schmerzte ihn tief. Dazu kam noch größere
Noth: der Krieg.
Die Normannen oder Dänen, unter ihrem Könige Erik dem Aelteren,
einem Feinde des Christentums, die bereits die Nordseeküsten verheert
hatten und rheinaufwärts bis Cöln vorgedrungen waren, kühne
Barbaren, deren Wildheit so erschreckend war, daß man in der Kirchenlitanei
sang: "vor dem Grimme der Normannen bewahre uns lieber Herre Gott",
- diese erschienen urplötzlich auf der Elbe und vor Hamburg.
Es war gegen Abend, als die bestürzten Hamburger die Elbe von den
Normannischen Schiffen bedeckt sahen; kein geordneter Widerstand war vorbereitet,
selbst der kaiserliche Schirmvogt, Graf Bernhard, war abwesend; die kleine
Bürgerschar der Stadt und die wenig zahlreiche Besatzung der Burg
konnten für den Schutz Anschar's und der Kirche nichts versprechen.
Dennoch wurde der Kampf versucht; aber die Schaaren der Feinde, die unaufhörlich
landeten, wurden immer zahlloser. Ihre Schiffe waren zwar nur klein und
faßten kaum 30 Männer, aber deshalb hatten sie durch die seichten
Eibarme bis dicht an die Stadt kommen können, und die Menge der Schiffe
war unabsehbar. Anschar selbst, so verlockend ihm auch der Märtyrertod
vorschweben mochte, gebot den tapfern Hamburgern, innezuhalten und auf
Rettung ihres Lebens durch schleunige Flucht bedacht zu sein, da Kampf
wie Tod gleich fruchtlos sei. Nun suchte zu entrinnen, wer konnte, die
länger Verweilenden, die etwa noch Weiber, Kinder oder Güter
retten wollten, fielen mit diesen den wilden Feinden in die Hände.
Sie stürmten heran mit Feuer und Schwert, noch vor Abend hatten sie
das Castell und die Stadt ersiegt,
die wehrhaften Männer und viele Greise, Frauen und Kinder erschlagen,
die Nacht, den folgenden Tag und noch die nächste Nacht hindurch
geplündert, gemordet und gesengt, beim Feuerscheine der brennenden
Stadt gezecht und gejubelt, - dann erst zogen sie ab, - die Kirchenschätze
und sonstigen großen Raub und gefesselte Gefangene führten
sie mit sich auf die Schiffe, - einen Schutt- und Trümmerhaufen ließen
sie hinter sich zurück.
Anschar hatte, alles Irdische preisgebend, nur sein
nacktes Leben und die theuersten seiner Reliquien gerettet; auf Umwegen
erreichte er an einsamer Stelle das Ufer der Elbe, ein Fischerkahn trug
ihn unerkannt aufs jenseitige Land, von wo er nach Bremen ging, um bei
dem dortigen Bischof Leuderich Zuflucht und Hülfe zu suchen. Aber
dieser, dem das neue Erzstift Hamburg ein Dorn im Auge, und Anschar's
Unglück eine Freude war, versagte ihm beides, verbot ihm die Stadt
und wies ihn ins Elend.
Durch die öden menschenleeren Haiden und Moore der heutigen Bremischen,
Verden'schen und Lüneburgischen Lande irrte nun der geächtete
Mann Gottes lange Zeit umher, ohne Ruhestätte, ohne Schutz, in steter
Lebensgefahr. Da erweckte Gott das Herz einer frommen Edelfrau, der Ikia
oder Ida, die im Bardengau im Lüneburgischen wohnte; sie erkannte
ihn, nahm ihn gastlich auf und pflegte sein; dann schenkte sie ihm eins
ihrer Güter Ramsola (das heutige Ramelslo, an der Seeve unweit Harburg)
zum bleibenden Zufluchtsort und Unterhalt. Dort barg nun Anschar seine
Reliquien, dort baute und stiftete er alsogleich ein Kloster, in welchem
er seine Getreuen wieder um sich sammelte, um mit ihnen vereint die Wiederherstellung
des Erzstifts, die Förderung des unterbrochenen Werkes vorzubereiten.
Dies gelang auch vollständig, nachdem bald darauf (847) Bischof Leuderich
gestorben war. Die Mainzer Kirchen-Versammlung übertrug das Bisthum
Bremen dem frommen Anschar, und fortan blieben beide Stifter Hamburg und
Bremen als ein Erzbisthum vereinigt.
Die fromme Edelfrau aber lebt im Volksmunde dortiger Gegend noch heutigen
Tags als Gräfin Ida fort, welcher man die Stiftung vieler Klöster
und Kirchen gläubig zuschreibt.
Durch Anschar's thätige Fürsorge wurde das verödete Hamburg
schnell wieder aufgebaut; Burg, Dom, Kloster und Schule erhoben sich schöner
aus den Trümmern; eben so bald sah man rings umher eine Stadt voll
fleißiger Bürger wieder erstehen; und ein günstiger Vertrag
mit dem Dänenkönige Erik dem Jüngeren sicherte für
viele Jahre sowohl eine ungestörte Ausbreitung des Christenthums,
als ein rasches Aufblühen des innern Verkehrs der verjüngten
Stadt Hamburg.
So wirkte der fromme Anschar weiter bis an sein Lebensende, und erfüllte
seinen Beruf im allerweitesten Umfange. Er starb in Bremen, 64 Jahre alt,
Ao. 865, an dem Tage, an welchem ein früherer Traum ihm seinen Tod
vorher verkündigt hatte, - so, wie nur ein frommer, gottbegeisterter
Mann zu sterben vermag. Er wurde daselbst unter allgemeiner Trauer mit
großer Feierlichkeit bestattet. Seinen Reliquien wurde große
Verehrung gezollt, und er selbst vom Papste Nicolaus I. heilig gesprochen,
wie denn sein Todestag, der 3. Februar, in der katholischen Kirche noch
heute gefeiert wird.
Der heilige Anschar war ein sehr edler und ein eben so wahrhaft großer,
als wahrhaft frommer Mann. An Milde, Demuth, Mäßigkeit und
Reinheit übertraf ihn Keiner. Aber unter allen seinen vielen Tugenden
war die Wohlthätigkeit eine der größten, so daß
sein Lebensbeschreiber und Nachfolger, der heilige Rembert, von ihm sagen
konnte: er war des Blinden Auge, des Lahmen Fuß, der Wittwen und
Waisen Vater.
Sein Andenken hat sich auch in Hamburg Jahrhunderte lang lebendig erhalten.
Sein Bild, früher im Dom, ist bekanntlich später in die Petrikirche
gekommen und neuerdings schmückt auch sein Standbild in Stein die
Trostbrücke.
Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten
und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 2