Das Roß nebst der Frauengestalt am K. Schlosse in Berlin.

An dem obersten Friese in der östlichen Ecke des innern großen Schloßhofes, wo Portal 5 in denselben einmündet, befindet sich ein Hautrelief, welches eine sitzende weibliche Figur darstellt, die ein zu ihrer Größe verhältnißmäßig sehr kleines unbezügeltes Roß, das eben steigen will, zu besänftigen sucht. Daneben sieht man ein zweites Relief, welches höchst wahrscheinlich als Pendant eine weibliche Figur mit einem Löwen zeigt, während die benachbarten zwei Felder noch ihrer Bestimmung, zwei andere allegorische verwandte Bildwerke aufzunehmen, harren. An diese Bilder hat zwar der Volksmund ebenfalls verschiedene Sagen, darunter eine ziemlich unsittliche und nicht wiederzugebende, geknüpft, allein gänzlich ohne Grund. Es findet sich nämlich im Rittersaale, der jetzigen Bildergalerie, des Schlosses fast dasselbe Relief unter den über den vier Eingangsthüren von A. Schlüter selbst in Stukko ausgeführten Bildwerken der vier Welttheile wieder, und constatirt ist es, daß auch diese beiden Reliefs am Friese des innern Schloßhofes von demselben Hofbildhauer A. Schlüter herrühren, der von 1699 bis 1706 den Schloßbau führte. Nun stellt aber die weibliche Gestalt mit dem Rosse auf dem Basrelief des Rittersaales unzweifelhaft nach einer seit dem Ende des 17ten Jahrhunderts angenommenen Allegorie der Welttheile die Europa vor, und es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß die erwähnten vier Füllungen des Frieses am östlichen Theile des innern Schloßhofes für dieselben Allegorien bestimmt waren, daß aber durch die in Folge einer Hofintrigue herbeigeführte Entfernung Schlüter's vom Schloßbau zwei derselben nicht zur Ausführung gekommen sind. Ein ähnliches Bildwerk befindet sich übrigens noch jetzt am Zeughause zu Küstrin.

Quelle: Grässe, Johann Georg Theodor, Sagenbuch des Preußischen Staates, Glogau, 1868/71, S. 161.