VOM NEID ERLÖST

Auf einem Hofe in Rettenbach *) lag einst der "Neid". Die Leute sagten: "dem Hof hat ma's oto!" Mochten sich die Besitzer, zwei Brüder und ihr Gesinde noch so sehr abmühen, es half nichts, es ging ständig rückwärts. Da jedes Mittel versagte, gingen die zwei Brüder schließlich zu einem alten Pfarrer und baten ihn um Hilfe. Der Pfarrer gab ihnen ein Päckchen und wies sie an, dasselbe in der Christnacht auf ihrem besten Acker zu vergraben, dabei sollten sie sich aber wohl in acht nehmen, weder auf dem Hin- noch auf dem Herwege ein Wörtlein zu reden und von keinem etwaigen Hindernisse sich schrecken zu lassen. Sie taten, wie ihnen befohlen war und gingen in der Christnacht mit dem Päckchen und mit Schaufel und Haue versehen nach ihrem besten Acker. Kaum waren sie vor dem Hoftore, so hörten sie von ihren Ställen her einen fürchterlichen Lärm. Es war, als ob all ihr Vieh ledig geworden wäre und sich gegenseitig angefallen hätte. Dann stürzten wütende Hunde zähnefletschend auf sie los und Tausende von Raben mit glühenden Augen umflogen sie krächzend und hackten mit den Schnäbeln nach ihnen. Auf dem Felde angekommen, glaubten sie, ihr längst verstorbener Vater komme ihnen entgegen und warne sie mit aufgehobenem Finger. Als sie endlich die Erde aufgegraben und das Päckchen in die frische Grube versenkt hatten, fuhr ihnen Feuer und Rauch entgegen. Auf dem Heimwege sahen sie Plötzlich ihren Hof in Flammen und ein schauerlicher Sturmwind drohte sie in die Luft zu führen. Doch sie hielten tapfer aus und sprachen kein Wort. Darauf wich der Neid wirklich von ihrem Hofe und die beiden Brüder zählten bald zu den vermöglichsten Bauern der ganzen Gegend.

*) Rettenbach ist ein zur Gemeinde Natternberg bei Deggendorf gehöriges Dorf.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen