DIE MUTTERGOTTES VON STUBENBERG

In der Kirche zu Stubenberg stand früher eine Muttergottesstatue, die mit reichem Gold- und Silberschmuck behängt war. Ein armer Schuster aus Tann stattete nun der Gottesmutter eines Tages einen Besuch ab, wobei er alle ihre Pretiosen in seinen Verwahr nahm. Er hatte schon das letzte Silberspänglein in seiner Tasche verschwinden lassen und griff nun mit einem höhnischen »Vergelt's Gott!« nach der Hand der Holzfigur, als diese auf einmal Leben bekam und mit eisernem Griffe sich um die Diebskrallen legte. Da war nun dem Kirchenräuber wohl nicht mehr fröhlich zu Mute. Das Blut schien ihm zu erstarren, die Haare stiegen ihm zu Berge und die Augen drohten aus ihren Höhlen zu treten. Die Beraubte sprach: »Warum hast du mir das getan?« Heiser stotterte er hervor: »Ich wollte nur mit Weib und Kind nicht verhungern!« »Für diesmal«, erwiderte die Gottesmutter, »will ich dich noch frei lassen; aber ich sage dir: in sieben Jahren wirst du wieder kommen, mich zu bestehlen; dann, wahrlich, sollst du der Strafe nicht mehr entgehen« und sie entließ ihn aus ihrer Gewalt. Ihre Prophezeiung ging in Erfüllung. Als nämlich sieben Jahre um waren, kam richtig der Schuster wieder und wollte die Marienstatue zum zweiten Male berauben. Diesmal wurde er solange festgehalten, bis der Pfarrer des Ortes, der zufällig in die Kirche trat, ihn der Polizei übergab.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen