DIE HUNDE VON WEIßENSTEIN

Die Burg Weißenstein gehörte einstmals einem reichen und stolzen Grafen. Seine Frau, welche im ganzen Lande als eine Schönheit galt, war nicht nur stolz, sie war auch, was noch viel schlimmer war, hartherzig und verachtete alle, die auf keinem Schlosse saßen.

Eines Tages verging sie sich mit ihrer Kammerfrau im Walde, der um die Burg lag. Da kam ein armes Weib auf sie zu, fiel vor ihr auf die Knie und bat sie mit aufgehobenen Händen, sie möge sich ihrer und ihrer sieben hungrigen Kinderlein erbarmen. "Sieben Kinder und nichts zu essen?" schrie die Gräfin. "Hält sich ein Häusler sieben Geißen, wenn er sie nicht füttern kann?" Unwirsch über solch unliebsame Störung kehrte sie ins Schloß zurück. Verzweifelt richtete sich das arme Weib auf und streckte die Hände zum Himmel, indem sie der Gräfin nachrief. "Frau Gräfin! Euere Hartherzigkeit wird der dort oben strafen! Ihr sollt nach sieben Monaten sieben Knäblein auf einmal bekommen. Vom Erstgebornen werdet ihr wohl nichts zu befürchten haben; aber seine sechs nachgebornen Brüder werden nach sieben Jahren Dein Tod sein!"

Wie Dornen krallten sich diese Worte ins Herz der Gräfin. In schlaflosen Nächten - und sie hatte nun deren mehr als andere - wälzte sie sich unruhig auf ihrem Lager und jammerte jene Worte des Fluches vor sich hin: "... seine nachgebornen Brüder werden nach sieben Jahren Dein Tod sein!" Ihre rosaroten Wangen wurden bleich; sie aß fast nichts mehr und mied jedes Vergnügen. Die Kammerfrau, die den Kummer der Herrin kannte, tröstete sie, indem sie sagte: "glaubt doch nicht an das Geschwätz der Vettel! Und wenn es wahr würde, daß ihr sieben Kinder bekommen solltet, nun, so lassen wir das erste leben; die übrigen sechs werfen wir in den Regen!" Darauf beruhigte sich die Gräfin.

Monat um Monat verstrich; der siebente seit jenem Vorfall kam näher und näher. Der Graf war auf einem Kriegszuge in Böhmen. Da bekam die Gräfin sieben Knäblein. Das älteste davon wurde in die weiche Wiege gebettet, die anderen sechs nahm die Vertraute der Gräfin, die Kammerfrau, auf deren ausdrücklichen Befehl, packte sie in einen Korb und schlich damit, sobald es dunkelte, einer Stelle des Regen zu, wo derselbe einen tiefen Tümpel bildete. Plötzlich vernahm sie den Hufschlag eines Pferdes. Rasch wollte sie sich hinter dem Stamme einer alten Buche verstecken; aber der Reiter hatte sie beobachtet. Er sprang bei der Buche vom Pferde und zog die zitternde Kammerfrau aus ihrem Versteck hervor. "Was verkriechst Du Dich und was trägst Du im Korbe?" herrschte er sie an. Ihr klapperten die Zähne vor Angst. Der Reiter war nämlich der Graf, der unvermutet aus Böhmen zurückgekehrt war. "Hunde! Junge Hunde hab' ich da und will sie im Regen ertränken!" erwiderte sie. Da entriß ihr der Graf den Korb. Mit Entsetzen sah er die sechs Knäblein. Die Kammerfrau stürzte vor ihm nieder und gestand unter Tränen alles. Voll Zorn ergriff er die schlechte Ratgeberin, schleppte sie an den Regen und stieß sie in die Flut. Darauf nahm er den Korb mit den Knäblein unter seinen Mantel, stieg wieder auf sein Pferd und ritt mit seinen Knappen, die mittlerweile nachgekommen waren, wieder ins Böhmerland, wo er ein zweites Schloß besaß und übergab die kleinen Geschöpfe dem Schloßvogt mit der Weisung, sie aufziehen zu lassen. Alsdann kehrte er, als ob nichts geschehen sei, nach Weißenstein zurück, wo er seine Frau und den Erstgebornen mit anscheinender Herzlichkeit begrüßte. Noch am selben Tage kam auch die Kunde in die Burg, daß die Kammerfrau ertrunken im Regen liege. Darob war die Gräfin innerlich froh; denn nun glaubte sie, wisse niemand mehr von dem Geheimnis, das ihr Gewissen belastete.

Des Grafen Söhnlein war daheim bald der Wiege entwachsen und gedieh sichtlich. Als es sieben Jahre alt wurde, veranstaltete der Graf ein Fest und lud hiezu alle Freunde und Verwandten ein. Was Küche und Keller bieten konnten, wurde auf die Tafel gebracht und zu Weißenstein wurde stets gut getafelt. Die Gäste begannen schon in ausgelassener Lust sich zu regen, da erhob sich der Graf und rief- "Edle Ritter! Schöne Frauen! Sagt mir, was soll mit einer Mutter geschehen, die ihre sechs gesunden Knäblein ertränken läßt wie junge Hunde?" Man sah sich ob dieses unerwarteten Zwischenfalles betroffen an. Da lispelte die Hausfrau: "eine solche Rabenmutter verdient, lebendig eingemauert zu werden!" "Du hast Dir Dein Urteil selbst gesprochen!" rief wieder der Graf in höchster Erregung. Dann winkte er einem Diener, der zur allgemeinen Überraschung sechs blonde, blauäugige Knäblein mit ihren Ammen in den Saal führte. "Siehe, diese Deine Kinder sollten auf Dein Geheiß ersäuft werden!" nahm der Graf wieder das Wort und dann erzählte er den Anwesenden alles, was sich zugetragen. Manche der Gäste baten feuchten Auges für die Sünderin; aber sie selbst sprach: "mir geschehe nach meinen Worten! Ich verdiene keine Gnade!" Und es geschah so. Darauf verließ der Graf mit seinen Kindern und Dienern Burg Weißenstein, setzte sich einen Hund ins Wappen und nannte sich Graf Hund zu Weißenstein.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen