DIE GESPENSTIGEN BETER

Ein Weib wurde einmal durch Glockengeläute vom Schlafe aufgeweckt. Es dachte, es läute schon zur Frühmesse, stand auf, zog sich an und eilte in die Kirche. Als es die Kirchentüre öffnete, sah es bereits alle Betstühle dicht besetzt; aber die Beter und Beterinnen saßen verkehrt, d. h., sie sahen nicht zum Altare, sondern zur Türe und wie erschrak das Weib, als es gewahrte, daß es lauter längst verstorbene Leute der Gegend waren. Da trat plötzlich eine Frauensperson, seine verstorbene Patin, aus ihrem Stuhle und flüsterte ihm zu, es solle schnell rückwärts aus der Kirche gehen und an der Kirchentüre den Schurz fallen lassen. Am anderen Tage, als das Weib wieder zur Kirche ging, da fand es seinen Schurz in hundert Fetzen zerrissen vor der Kirchentüre liegen. Wie dem Schurze, so wäre es ihm selbst ergangen, wenn es den Rat der Patin nicht befolgt hätte.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen