DER PFAHL

Durch das Grau der Gneis- und Granitformation des Bayerischen und Böhmerwaldes schiebt sich der auffallende, hellfarbige Streifen des Pfahl. Als ein Naturwunder gilt der Pfahl, ein 140 km langes Quarzriff, das von Schwandorf in schnurgerader Linie bis über Freyung hinaus zur Grenze zieht. Die weiß, rötlich und grau glänzenden Felsenmauern überragen mit ihren Zacken den grünen Wiesenteppich, streckenweise um 100 m. Über die Entstehung des Pfahl geht folgendes Märlein:

Im "Walde" drinnen hausten einst zwei nachbarliche Ritter, der von Bärndorf und der von Kolmburg. Jeder hatte nur ein einziges Kind, der von Bärndorf einen Sohn, der von Kolmburg eine Tochter. Was lag da näher, als der Gedanke, die beiden jungen Leute einmal als Ehegatten zu vereinen und damit die beiden Besitzungen zu einem zu verschmelzen? So verlobte man sie und der Junker war nun täglicher Gast auf der Kolmburg. Eines Tages blieb er aus. Was mag geschehen sein? War er krank? War er verreist? Nein, da wäre Botschaft eingetroffen.

Der Junker war auf der Jagd gewesen und hatte sich ermüdet auf einem einsamen, schattigen Moosplätzchen unter einen Felsen hingestreckt, um auszuruhen. Da stand auf einmal eine herrliche Frau vor ihm und sprach: "ich bin die Elfenkönigin! Dort ist mein Schloß!" Der Junker gewahrte im Felsen, an dem er ruhte, ein hohes Tor und durch dasselbe sah er in einem großen, schönen Garten, in dessen Mitte ein prächtiges Schloß stand. Noch hatte er sich nicht von seinem Staunen erholt, so fuhr die schöne Frau fort: "morgen, wenn die Sonne am höchsten steht, komme wieder hieher, zünde ein Feuerlein an und hebe den Stein, auf dem vorhin Dein Haupt geruht, auf. Du wirst ein Eidechslein darunter finden. Das nimm in die Hand und dann klopfe dreimal an den Fels und sprich: "Königin im Felsgestein, Laß mich mit Dir glücklich sein! Wirf darauf die Eidechse ins Feuer und das Felsentor wird sich öffnen. Tritt dann ein zu mir; wir werden glücklich sein!" Darauf steckte sie ihm noch ein glitzerndes Ringlein an die Hand und verschwand. Der Junker rieb sich die Augen. Wo war die holde Frau? Wo waren Tor und Garten mit dem Schloß? Hatte er geträumt? Aber das Ringlein am Finger! Und der Ritter vergaß die Braut und dachte nur an die schöne Frau im Feenreich. Des anderen Tages stand er lange schon an derselben Stelle, wieder ehe die Sonne am höchsten stand und sein Feuer prasselte und lohte und endlich hob er den Stein auf und fand das grünglänzende Tierlein, haschte es mit der Rechten und klopfte mit der Linken an die Felswand, indem er rief- "Königin im Felsgestein, Laß mich mit Dir glücklich sein!" und dann klopfte er zum zweiten Male und sprach wieder den Spruch. Schon hob er die Faust, um das dritte Mal zu klopfen, da rief es: nein, es schrie, wie nur ein am Leben getroffener Mensch schreien kann: "Gott im Himmel! Mein Berthold ... !" Die Kolmburgerin war es. Sie hatte, als der Junker nicht mehr zu ihr kam, voll Sehnsucht sich fast verzehrt, ließ ihr Leibpferd satteln und ritt gegen ärndorf. Auf dem Wege durchs Gehölz sah sie das Feuerlein durch die Baumstämme leuchten und gewahrte bald auch ihren Bräutigam bei seinem seltsamen Tun. Kaum hatte sie den Herrgott um Hilfe gerufen, entstand ein furchtbares Erdbeben und ohrenbetäubender Donner erschütterte die Luft. Das Reich der Zauberin brach zusammen und schmolz im Feuer dahin, insbesonders auch die Echse, die zum Riesenwurm vom Dreisessel bis zum Regen in der oberen Pfalz sich im Todesringen streckte und dehnte. Der Palast der Feenkönigin ragte als formlose, zackige Felsmasse mitten drin empor.

Braut und Bräutigam lagen betäubt am Boden. Die erstere erholte sich rasch wieder und sie mühte sich, den Bräutigam zu wecken. Nachdem auch er die Lider geöffnet, brachte sie ihn auf die Burg ihres Vaters, wo er in ihrer Obhut und Pflege rasch genas. Bald darauf feierten die zwei Hochzeit und lebten froh und zufrieden miteinander viele Jahre.

M: Geistbeck - A. Geistbeck, Geographie für höhere Lehranstalten, erster Teil. Kollnburg.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen