DAS WASSERFRÄULEIN

Ein paar Minuten von Nussing entfernt liegt am Einflusse des Gollerbaches in den Grasenbach die Wührmühle. Von der Wührmühle aufwärts schlängelt sich der Gollerbach durch das sogenannte Raintal (Roatoi) *) und in diesem Raintal nun zeigt er eine ihm sonst nicht eigentümliche Verbreiterung, die von einem tiefen Tümpel eingenommen ist. Des Abends im Zwielicht konnte man von da her täglich ein Rauschen und Plätschern hören; es war, als würde eine Wäscherin hier die Wäsche reinigen.

Zwei neugierige Burschen schlichen nun einmal zu diesem Tümpel hinauf und lugten vorsichtig durch's Buschwerk zum Wasser hinunter. Da sahen sie ein wunderschönes Wasserfräulein. Seine Haut war schneeweiß und die Haare fielen ihm wie Goldfäden über die Schultern. In den sich kräuselnden Wellen tauchte es fröhlich auf und unter und spielte mit dem schäumenden Naß geradeso, wie liebe Kinder am Bächlein spielen und tuschen. Unvorsichtig stieß einer mit dem Fuße an einen Stein, so daß er ins Wasser hinabrollte. Wie der Blitz war das Wasserfräulein auch schon in den Fluten verschwunden, Seit dieser Zeit ward es nur selten mehr gehört. Aber die Großmutter erzählt ihren Enkeln noch oft von ihm und die erzählen es später wieder den Ihrigen und so wird, wenn auch die "Wäscherin", wie man das Wasserfräulein gewöhnlich zu nennen pflegt, sich nimmer zeigt, die Sage von ihr doch fortleben, vielleicht noch viele hundert Jahre.

*) Eigentlich heißt es Reittal.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen