DAS KIND IM DREISESSELBERG

Eine Frau ging eines Tages mit ihrem fünfjährigen Mädchen auf den Dreisesselberg, um für ihre Kuh und die beiden Ziegen Futter zu holen. Bei den aufragenden Felsen am Gipfel des Berges fand sie eine Öffnung im Gestein. Sie schlüpfte mit dem Kinde hinein und kam durch einen langen, hohen Gang in einen prächtigen Saal, in dem riesige Haufen von Gold und Silber aufgestapelt lagen. Die Frau raffte von den Kostbarkeiten zusammen, was sie nur tragen konnte und brachte es ins Freie. Als sie darauf auch ihr Kind holen wollte, fand sie den Eingang nicht mehr.

Ein Jahr später war sie an derselben Stelle mit Streurechen beschäftigt. Wieder sah sie sich dabei nach dem Eingang zu jenem unterirdischen Saale um. Wie oft wohl schon bis dahin! Auf einmal gewahrte sie hinter Dorngestrüpp die langgesuchte Öffnung. Sie machte den Zugang frei, ging abermals durch den hohen Gang und sah mitten im Saale ihr Kind auf einem Teppich sitzen und spielen. Hochbeglückt nahm sie es auf ihren Arm und führte es nach Hause. Das Mädchen erzählte ihr, daß jeden Tag drei schöne Frauen zu ihm in den glänzenden Saal gekommen seien, ihm zu essen und zu trinken gebracht und mit ihm gespielt hätten, auch hätten sie ihm drei Sammetkleidchen gebracht, ein rotes, ein blaues und ein goldfarbenes.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen