GRAF ASWINS TANNE

Im Böhmerwalde war ein wildes, unsicheres Leben in alter Zeit; denn kaum verging ein Tag im Jahre, an dem die Deutschen und die Slaven sich nicht in den Haaren lagen. Feuer und Wasser wären besser miteinander ausgekommen als diese beiden grundverschiedenen Völkerschaften. Erst als der große Kaiser Karl die böhmische und serbische Mark gestiftet, ward Ruhe und es konnten an der Grenze einige Ortschaften entstehen. Kaum aber hatte der Tod dem preiswürdigen Fürsten die Zügel der Herrschaft entrissen, so brachen die Slaven wieder los und suchten das deutsche Gebiet mit ihren Beutezügen heim. Diese gemeinschädlichen Grenzbalgereien dauerten fort bis ins 16. Jahrhundert.

In den Tagen Heinrich IV. hausten die Slaven ärger denn je. Da faßte der Kaiser den klugen Entschluß, ein mächtiges Herrschergeschlecht nach den bedrängten Gegenden zu verpflanzen und in solcher Weise die Grenzhut zu stärken. Er sah sich zu dem Zwecke die Grafen von Bogen aus, die längs der Donau weit über die Berge und die Wälder, geboten von der Mündung des Regen bis hinunter zur Ilz. Diese begabte er mit vielen Dörfern und Weilern im Grenzbezirke. Die Grafen bauten feste Burgen und Wehren und legten Mannschaften hinein, so daß die stößigen Nachbarn, wenn sie über die Grenze wollten, eine harte Nuß zu beißen fanden.

Einmal war ein absonderlich fruchtbares Jahr eingetreten und es stand im Regentale das Korn Garbe an Garbe auf den Feldern. Die Böhmen drüben beschlich die Lust zu ernten, wo sie nicht gesäet. Also taten sie sich in große Haufen zusammen und wimmelten aus den Wäldern und Schluchten hervor, so dicht wie ein Heer Ameisen. Aber Graf Aswin hielt treue Wacht, zog den Böhmen entgegen und schlug sie in drei Feldschlachten hintereinander.

Das letzte Treffen geschah am Alphaltersberg, jetzt Einfaltersberg genannt, hart an der Landstraße, die von Cham gegen Straubing führt. Dort rastete nach blutiger Arbeit der Graf unter einer hohen Tanne und es stieg ihm der Gedanke auf, das Gedächtnis des Tages bleibend auf die Nachkommen zu bringen. Alsbald ließ er sein Schwert durch die Lüfte sausen und hieb mit mächtigen Schlägen in den Stamm der Tanne das Zeichen des Kreuzes.

Der Held ward hoch gefeiert in Lied und Sage und beim Volke hieß er der Schreck der Böhmen. Die Tanne stand viele Jahrhunderte aufrecht. Es ist so überlang nicht her, daß sie, altersschwach, vom Winde gebrochen wurde und zur Stunde noch leben Leute, die ihren umfangreichen Stock im Walde droben sahen und maßen.

(gekürzt) Adalbert Müller

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen