Die Zwerge im Joßgrund

Die Zwerge hatten den Menschen lange Zeit Dienste getan und für sie gearbeitet, gegraben, gejätet, geerntet, aufgebaut und niedergerissen, wie man gewünscht. Aber sie erhielten dafür nichts als Undank und beschlossen deshalb auszuwandern. Sie wollten weit fort in ein unbewohntes Land und allen Verkehr mit Menschen aufgeben, so schmerzlich sie diese auch vermissen würden.

Auf ihrer Wanderschaft kamen die Zwerge in den Joßgrund. Damals war der Spessart noch nicht so bevölkert wie heutzutage, und die Zwerge konnten tagelang ziehen, ohne auf eine menschliche Wohnung zu stoßen. Die Mundvorräte, die sie mitgenommen hatten, waren aufgezehrt, und auf dem allzu schattigen Boden des dichten, tausendjährigen Eichenwaldes wuchsen nur wenige schmackhafte Beeren oder genießbare Wurzeln, so dass die Wichtein bitteren Mangel litten. Sie schleppten sich weiter, solange es ging, lagerten dann im hohen Heidekraut und warteten darauf, Hungers sterben zu müssen.

Da kam ein Bauersmann des Weges, der hatte ein Bündel Holz im Wald geholt und kehrte eben heim. Sein Fuß strauchelte über einen kleinen Zwerg, den er fast tot trat; denn, wenn die Zwerge auch längst ihre Nebelkappen abgeworfen hatten, so verbarg sie doch das Heidekraut vor seinen Augen. Erschrocken prallte der Mann zurück; dann aber empfand er tiefes Mitleid, als er den üblen Zustand der Zwerge sah. Er brauchte nicht zu fragen, was ihnen fehle; es guckte ihnen der Hunger aus den Augen. Der Mann ermunterte sie, ihre letzte Kraft zusammenzunehmen und ihm zu folgen. Zwar wäre er selbst arm, aber ein Stückchen Brot würde sich für sie noch finden, und in seinem Keller hätte er noch genug Platz, mehr als ihm lieb wäre. Die Zwerge wurden durch die Hoffnung auf ihre Rettung neu belebt und folgten dem Manne zu seiner Hütte. Dort quartierten sie sich im leeren Keller ein. Sie erhielten von dem Bauern, was er in seiner Armut zu geben vermochte, und nach einiger Zeit hatten sie sich wieder erholt. Als die Zwerge aus dem Keller hervorkamen, sahen sie, wie sich der Mann abrackerte, um ein bisschen Getreide zu erzielen. Und wie plagte er sich, um in dem Wald oder vom sumpfigen Grunde etwas Gras für seine Kühe zu bekommen, deren Milch seinen zahlreichen Kindern die notwendige Nahrung gab! Die Zwerge vergaßen alle Unbilden, die ihnen die Menschen zugefügt hatten, und sprachen zu dem Manne: "Du hast uns aufgenommen und gespeist mit dem, was du dir und deinen Kindern entziehen musstest; das wollen wir dir vergelten. Wir sind nicht schwach, wie du uns ansiehst. In uns lebt ein Wille, und deswegen sind wir zusammen stark wie Riesen. Wir werden dich bei der Arbeit unterstützen, und du wirst mit uns zufrieden sein. Bleibe aber auch freundlich gegen uns, wie du es bisher warst." Der Bauer hatte zwar kein großes Vertrauen auf die Kraft der kleinen Leute, aber er dachte: wenn's auch nicht viel nützt, kann's doch nicht schaden und ließ sie nach ihrem Gutdünken schalten und walten.

Bei Tage blieben die Zwerge in ihrem Keller; allein bei Nacht wurde es dort lebendig wie in einem Ameisenhaufen - und als der Bauersmann morgens aus seiner Hütte trat, sah er einen Haufen saftiges Gras vor seiner Hütte liegen und eine Schicht Holz. Ein andermal entwässerten sie einen Sumpf durch große Abzugsgräben und legten Wiesen an. Dann wieder rodeten sie ein Stück Wald und säuberten es von Baumwurzeln und Steingeröll, so dass der Bauer nur einzusäen brauchte. Er vergrößerte seinen Viehbestand. Die Zwerge bauten ihm die Stallungen, und das Vieh gedieh prächtig - und als die Zeit der Ernte kam, fiel sie so reichlich aus, dass sie zehn so kleine Scheuern, wie der Bauer eine besaß, gefüllt hätten. Was taten nun die Zwerge? Sie errichteten ihm eine so große und schöne Scheuer, wie er noch keine im Traume sah. Jetzt wurde dem Bauern auch die Wohnung zu klein. Er brauchte bloß den Wunsch zu äußern, und die fleißigen Wichtelmännchen stellten ihm zwei Häuser hin, die Palästen glichen. Da war er jetzt der reichste Mann im ganzen Spessart. Er hielt sich Knechte und Mägde, obwohl er sie wegen der Zwerge nicht nötig gehabt hätte, und lebte herrlich und in Freuden. Die Zwerge aber wohnten nach wie vor im Keller der Hütte und begnügten sich mit der früheren einfachen Kost.

So vergingen zwei Jahre. Als die Zwerge nichts mehr für den reich gewordenen Bauern zu tun hatten, baten sie ihn zu erlauben, dass sie auf seinem Eigentum ein Haus für sich selbst erbauen dürften. Der Keller sei als Wohnung doch gar so dumpf und unfreundlich. Aber durch den Reichtum war der Mann hart geworden wie die Felsen des Spessarts. Er fuhr die Zwerge unfreundlich an, was sie mit dem Hause anfangen wollten. Das nehme ihm zu viel Platz weg, und hätten sie bisher im Keller genug Platz gehabt, so könnten sie auch ferner da bleiben. Solch kleines Volk brauche kein großes Haus, und wenn ihnen ihre jetzige Wohnung nicht mehr recht sei, so möchten sie sich nur weiterpacken; er habe sie ohnehin lange genug gefüttert.

Die Zwerge waren über diese grobe Antwort überrascht und erbittert. Zum zweiten Mal mussten sie erfahren, wie schmählich der Undank der Menschen sei, und sie verließen den Keller und zogen in eine benachbarte Mühle. Von dort aus kamen sie nachts herüber und holten das Getreide aus der Scheune des Bauern, denn die liebe Gottesgabe wollten sie nicht verderben. Sie mahlten es auf der Mühle und verschenkten es an arme Leute. Dann zündeten sie die Wohnungen, die Scheuern und Stallungen des Bauern an, und die Flammen verzehrten sein Hab und Gut. Die Felder aber, die sie selbst gerodet, bewarfen sie mit Steinen, dass der Bauer drei Menschenalter gebraucht hätte, um sie wieder wegzuschaffen. Die Abzugsgräben der Wiesen warfen sie wieder zu, so dass der alte Sumpf wieder entstand. Und der Bauer ward wieder der arme Mann wie vorher mit seiner alten Hütte, dem Stückchen Feld und ein paar mageren Kühen, und er aß sein kümmerliches Brot bis an sein Ende. Die Zwerge aber wanderten weiter, wohin weiß niemand.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 193ff