Der strenge Vogt

Die Bewohner des "Freigerichtes" hatten vom Kaiser Barbarossa für ihre treue Hilfe gewisse Vorrechte erhalten, die aber später von den Vögten nicht mehr geachtet wurden. Ein Vogt war gegen die Freigerichter besonders hart. Das ließen sich diese nicht gefallen und erinnerten den Vogt an ihre verbrieften Freiheiten und Rechte.

Er kümmerte sich jedoch nicht darum und blieb weiterhin so streng. Jetzt ratschlagten die Bauern in ihrer Not und beschlossen, der Vogt müsse "über den Stecken springen". Mehrere Männer erboten sich das "Urteil" zu vollstrecken. Wie dann einmal nachts das Gespann des Verhassten die Straße hinrollt, stellt sich vor einem Dorf ein Haufe Bauern entgegen und versperrt den Weg. "Aussteigen, Vogt!" ruft einer der Bauern, und dem Vogt, der sich einer Übermacht gegenübersieht, bleibt nichts anderes übrig, als der Aufforderung zu folgen. Die Bauern haben, um unkenntlich zu sein, ihre Gesichter geschwärzt, halten fünfzehn Stecken, alle fünf Meter einen, etwa in Stuhlhöhe und befehlen: "Spring über die Stecken, Vogt!" Der mag sich nicht weigern, da die Bauern drohend ihre Stöcke gegen ihn erheben. Er muss also über die Stecken hüpfen, so schwer's ihm auch fällt, und er schnauft und pustet, und als er den letzten Stecken hinter sich hat, klebt ihm vor Schweiß das Hemd am Leibe. Nun darf er seinen Wagen wieder besteigen und weiterfahren.

Zornig schickte der Vogt am nächsten Tage seine Späher und Häscher aus, um nach den Bauern zu forschen, die ihm den vermeintlichen Schimpf angetan hatten. Doch alle Bemühungen waren vergebens; er erfuhr nie, wer jene Männer waren.

Künftig enthielt er sich allzu großer Strenge und achtete wieder die alten Freiheiten.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 70f