Der Schatz auf dem Kollenberg

Obwohl die Burg Kollenberg großenteils verfallen war, wohnte noch der mainzische Förster dort, und dieser lud zur Winterszeit öfters Burschen und Mädchen der Umgebung in die abendliche Spinnstube ein. Sie kamen auch gerne, sogar aus den Orten Stadtprozelten und Fechenbach, zum gastfreundlichen Manne, bei dem die Stunden mit Singen und Scherzen nur zu schnell dahinschwanden.

Einst ging ein junger Mann aus Dorfprozelten um Mitternacht von der Försterswohnung nach Hause. Unterwegs befand er sich plötzlich - er wusste nicht wie - in einem weiten gewölbten Räume. Und hier saß an einer Spindel ein altes Mütterchen, das spar.n Flachs, und wie der Jüngling näher kam, redete es ihn an. "Auf dich", sagte es, "habe ich schon viele Jahre gewartet. Höre genau zu! Dort steht eine eiserne Kiste, von der musst du mit der linken Hand den Deckel heben, derweil du in der rechten den Blumenstrauß hältst. Dann werde ich erlöst, und du wirst für dein Leben lang reich sein." Nach diesen Worten gab ihm das Mütterchen einen Strauß frischer, duftender Blumen, obwohl es Mittwinter war und draußen fußhoher Schnee lag. Den Jüngling überlief ein Grauen, aber er nahm den Strauß doch, ging an die große eiserne Truhe, die in der Ecke des Gemaches stand

und wollte sie öffnen. Da erhob sich vom Deckel plötzlich ein großer schwarzer Hund, knurrte den Burschen an und bleckte seine scharfen Zähne. Allein das Mütterchen sagte ermunternd: "Du brauchst dich nicht zu fürchten, solange du den Strauß hast. Lass ihn nur ja nicht aus der Hand fallen, sonst ist das ganze Werk vereitelt, und ich muss abermals auf meine Erlösung warten, bis wieder ein Jüngling kommt, der unter den gleichen Sternen geboren ist wie du. Doch zu dem Eichbaum, der die Bretter für die Wiege jenes Mannes liefern wird, ist die Eichel noch nicht gesteckt." Der Jüngling hielt sorgfältig den Strauß und ergriff mit der linken Hand den Deckel der Truhe. Da entfloh der Hund. Der Deckel gab nach, war aber so schwer, dass ihn der Jüngling mit einer Hand nur wenig heben konnte. Deshalb wollte er mit der anderen Hand nachhelfen, um den Deckel ganz hochzubringen. "Langsam, Jüngling, langsam!"

War er doch nicht achtsam genug gewesen? Der Blumenstrauß entfiel ihm und krach - schlägt der schwere Eisendeckel herunter, und die Kiste ist wieder vollständig zu. Und verschwunden ist alles wieder, was da war: Das Mütterchen, die Geldkiste und das weite Gewölbe. Der Jüngling befand sich auf dem Heimwege nach Dorfprozelten, der Schnee knirschte unter seinen Tritten und über ihm strahlten die Sterne der kalten, klaren Winternacht. Es fröstelte ihn, und er schritt eilig ins Dorf. Den Eingang zum wundersamen Gewölbe fand er später niemals mehr.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 169