Der Teufelstritt im Dom

Der Fußabdruck am Eingang der Frauenkirche gab Anlaß zu mancherlei Vermutungen über seine Entstehung. Eine Sage erklärt ihn so:

Meister Jörg Ganghofer hatte die Frauenkirche schon fast vollendet, als der Höllenfürst von dem Bau erfuhr.

"Was, schon wieder eine Kirche in München!" schrie er - vor Wut fast zerspringend - den Unterteufel an, der ihm die schlechte Nachricht überbracht hatte, der aber wahrhaftig nichts dafür konnte. "Dort sind ohnehin genug Kirchen, die mir ein Dorn im Auge sind, mehr als genug!"

"Das können wir nicht dulden, Majestät", pflichtete ihm der Unterteufel bei und zog sich dann schleunigst zurück, um nicht Opfer des Zornes seines Herrschers zu werden. Der aber tobte weiter:

"Das werde ich auch nicht dulden! Es bringt meinem Reich zu großen Schaden. Da werden die Sünder, mit denen ich mich jahrelang abgeplagt habe, sich wieder zu Maria flüchten und beten und beten. Und wie ich Maria kenne, wird sie sich wieder erweichen lassen und bei ihrem Sohn ein gutes Wort für diese Seelen einlegen, so daß sie mir zuguterletzt doch noch durch die Lappen gehen. Das ist zuviel! Womöglich bekommen wir hier unten noch Nachwuchsschwierigkeiten! Ich muß diesen Bau um jeden Preis verhindern!"

Feuer- und schwefelspeiend fuhr er aus der Hölle, eilte zu seinem Freund, dem wilden Sturm, und beriet sich mit ihm.

"Sei froh, daß du noch rechtzeitig von der Sache Wind bekommen hast, da kann man wenigstens etwas dagegen unternehmen!" beruhigte dieser den Tobenden. "Wir zwei werden mit der Kirche schon fertig werden! Solange sie noch nicht geweiht ist, kannst du sie noch betreten und von innen her zerstören. Ich greife sie von außen an. Zusammen werden wir sie schon zu Fall bringen, wir müßten nicht Sturm und Teufel sein!"

Flugs begaben sich die beiden wüsten Gesellen zum Frauenplatz, wo sich das fromme Gebäude erhob, und machten sich ans Werk. Mit einem großen Satz sprang der Teufel in die Kirche hinein. Unter der Orgel blieb er stehen, schaute sich um und überlegte, wo er am besten mit der Zerstörung beginnen sollte. Da überzog plötzlich ein Grinsen satanischer Freude sein Gesicht, das auch so schon häßlich genug war. Er hatte nämlich, so eifrig er sich auch umgeschaut hatte, kein einziges Fenster in der ganzen Kirche entdecken können.

"Da haben die dummen Tölpel von Bauleuten doch tatsächlich die Fenster vergessen!" schrie er, schlug sich hohnlachend auf die Schenkel und stampfte vor Freude mit dem Fuß so fest auf, daß der Tritt sich in den Stein auf dem er stand, eingrub. "In eine Kirche ohne Fenster geht kein Mensch zum Beten, da ist der ganze Bau umsonst, ha, ha, ha!"

Vergnügt und bester Dinge machte er sich von dannen, weil die unglaubliche Dummheit des Baumeisters ihm die Mühe erspart hatte, das Gotteshaus zu zerstören.

Wohl bemerkte er später seinen Irrtum, als er die Scharen von Menschen sah, die in die Kirche strömten. Doch obgleich es ihn vor Wut fast zerriß, er konnte dem Bauwerk nichts mehr anhaben, weil es schon geweiht war. Der Sturm aber, der Bundesgenosse des Teufels, rast noch immer in ohnmächtigem Grimm um die Frauenkirche. Er rüttel und zerrt an dem Gebäude und versucht verzweifelt, die Frommen vom Betreten der Kirche abzuhalten. Er saust ihnen um die Ohren, zerrauft ihnen die Haare oder reißt ihnen die Hüte herunter und wirbelt sie fort. Dieses vergebliche, aber nie nachlassende Bemühen des Sturmwindes, die Leute von dem Gotteshaus fernzuhalten, ist auch der Grund dafür, daß es um die Frauenkirche herum immer so zieht.

Quelle: Gisela Schinzel-Penth, Sagen und Legenden von München, Frieding 1979, S. 69 - 71.