Das kopflose Gespenst von Schönegg

Die alte Spindlerin konnte für alle Krankheiten tun, für die schreiende und fallende Frais, fürs Herz- und Maulg'spörr, für'n Scharbock und Darmschleiß, für Lungl- und Kindsfüß. Wenn einer Bäuerin der Blutkasten umgefallen war und wenn eine ein vermeintes Kind hatte, holte man die alte Spindlerin. Die brüchigen Kinder zog sie durch einen Holzspalt; hatte sich einem die Galle ausgegossen, band sie ihm einen lebendigen Fisch auf den Bauch und machte die verstopfte Leber wieder frei. Ihre irchenen Beutel, die sie den Kranken umhing, ihre Fraisbeterl und besonders ihre uralten Sprüche waren stärker als der gescheiteste Doktor und Leutschinder.

Anfangs der sechziger Jahre ist es gewesen, da wollte sich die Spindlerin mit ihrer Dirn auf dem Kreuzbichl bei Schönegg aus dem Freithof einen Totenschädel verschaffen für ihre Sympathiekuren. Wie sie den Schädel im Haus hatte, ging ein solcher Lärm und Geisterspuk an, daß der Schaden gegen l 000 Gulden ausmachte. Den Gendarmen sind die glühenden Funken unter die Füße geflogen. Und weil die Seele des Toten, dem sie den Schädel genommen hat, noch nicht erlöst war, mußte er als kopfloses Gespenst umgehen.

Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;