Steinerne Brotlaibe

Da und dort gibt es Leute, die sind von einer wahren Arbeitswut besessen, kennen keinen Feierabend und keinen Feiertag. Ein solcher Mensch war auch eine Bäuerin in Fischbach. Von früh bis spät werkelte sie wie wild im Haus und im Hof, im Stall oder im Garten, und kaum einer hat sie jemals außer bei den nötigen Mahlzeiten ruhig auf der Bank in der Stube sitzen gesehen. Jahrein, jahraus ging sie nur im Arbeitsgewand, denn auch an den Sonn- und Feiertagen gönnte sie sich nicht wie andere Leute Erholung oder Besinnung. Das Nicht-genug-arbeiten-können war bei ihr eine Manie geworden, und wer sie darauf ansprach, den ließ sie mit einer groben oder verletzenden Antwort als "Faulpelz" oder "Nichtstuer" abfahren.

Nun ist es einmal wieder Weihnachten geworden. Am Heiligen Abend noch richtete die ruhelose Alte Brotteig im Trog her, der dann auf die Nacht noch gebacken werden mußte. Also schleppte sie auch das nötige Brennmaterial, Reisig und Buchenscheiter, zum Backofen hinterm Haus. Das Brotbacken war aber nach Meinung aller am Heiligen Abend nicht erlaubt, und wer es trotzdem tun würde, dem würde diese Arbeit Unglück bringen.

Als die Glocken des Fischbacher Kirchleins auch der arbeitswütigen Frau auf ihrem abgelegenen Bauernhof den baldigen Beginn der Christmette verkündeten, da war diese gerade dabei, die Brotlaibe in den Backofen zu schieben. Zur gleichen Zeit kam die Bäuerin vom Nachbarhof bei ihr vorbei, die auf dem Weg zur Kirche war. Diese stellte sie zur Rede wegen ihres unchristlichen Tuns: "Aber Berndlin! Alles, was recht ist! Du mußt dich doch schon Sünden fürchten, wenn du jetzt Brot backst, wo alle die Geburt des Herrn feiern gehen! Brot backen tust du in dieser geheiligten Nacht! Das bringt dir gewiß keinen Segen".

Daß sie so gemaßregelt wurde, das ärgerte die Berndlin gewaltig, und sie rief der kopfschüttelnd weitergehenden Nachbarin einen derben Fluch nach und schrie: "Jetzt ist's schon drinnen! Von mir aus macht der Teufel Steine draus!".

Grad wollte sie sich umdrehen und erbost ins Haus gehen, da hörte die Bäuerin aus dem verschlossenen Backofen eine dumpfe Stimme: "Alte Fretten, geh in d' Metten! Dieses Brot bringt dir Nooot!". Da ist die hartgesottene Alte denn doch erschrocken. Aber was blieb ihr übrig? Jetzt mußte sie schon warten, bis die Backzeit um war. Nach einer guten Stunde ging sie hinaus, die fertigen Laibe aus dem Ofen zu holen. Doch was sie in der Wut der Nachbarin nachgerufen hatte, war in Erfüllung gegangen: Aus dem Backofen zog sie nichts als lauter brotlaibgroße Steine heraus.

Ob sich die "alte Fretfn" jetzt gebessert hat?

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 85