Auf dem Pestacker bei Fischbach

Noch vor vielen Jahren begann die Christmette in den Dorfkirchen des Inntals wie überall in Bayern am Heiligen Abend um Mitternacht. So war es natürlich auch in Fischbach. Eine Dienstmagd, die dort bei einem Bauern im Dienst stand, hatte sich beim Gang zur Mette ein bißchen verspätet, weshalb sie ganz allein zur Kirche unterwegs war. Sie beeilte sich, um noch rechtzeitig zur mitternächtlichen Feier der Geburt Jesu zurechtzukommen. Als sie am Pestacker vorüberging, war bereits die Geisterstunde angebrochen. Diesen außerhalb des Dorfes gelegenen Friedhof nannte man auch den "Ellentenfreithof', denn nicht nur die Opfer der Pest, die auch im Inntal schrecklich gewütet hatte, waren dort bestattet worden, sondern auch fremde Schiffsleute, die ertrunken vom Inn angeschwemmt worden waren, oder auf der Landstraße verkommene Landstreicher, die keiner kannte, wurden dort bestattet. Von ihnen wußte man ohnehin nicht, ob sie dem einzig wahren Glauben angehört hatten oder verdammenswerte Ketzer waren, denen nur selten ein Mitleidiger ein einfaches Kreuz auf den Grabhügel steckte, weil ihnen kein christliches Begräbnis zustand. So war halt damals die Einstellung der meisten schlichten Menschen auf dem Lande.

Also, die besagte Magd kam kurz nach Mitternacht an diesem Friedhof der Elenden vorbei. Der Platz war sonst öd und leer, denn die letzten dürftigen Holzkreuzchen waren längst umgefallen, überwuchert oder vermodert. Jetzt aber standen dort viele hundert Kreuze, und jedes leuchtete in der Dunkelheit glühend rot. Zwischen ihnen irrten schreckliche Gestalten mit besonders dicken Köpfen herum. Wie in einem grotesken Tanz schwangen sie Arme und Beine, wackelten schaurig mit den runden Köpfen und lärmten gar schrecklich.

Die verspätete Kirchgängerin in ihrem Schrecken bekreuzigte sich und fing an davonzurennen. Da fing vom hohen Turme der Kirche zu Flintsbach ein feierliches Glockengeläute an. Im selben Augenblick erloschen die glutroten Kreuze, es wurde still ringsum und vom Totentanz war nichts mehr zu hören oder zu sehen.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 82