16. Das Wunderknäble.

Von Obermaiselstein gingen einmal Kinder zum Heidelbeerpflücken in dm Wald. Da sahen sie plötzlich ein wunderschönes Knäblein in einiger Entfernung vor sich. Das Knäblein war so fein und schön gekleidet, daß sie es gar nicht fürchteten, sondern zu ihm hinspringen wollten, um es anzureden und mit ihm zu spielen. Allein, wenn sie auf dasselbe zuliefen und ihm ganz nahe waren, war es im Nu wieder weiter gerückt, daß sie es nie erreichen konnten. Die Kinder erzählten daheim, was sie gesehen, und verlangten am andern Tag wieder in den Wald. Jedes von ihnen nahm diesmal ein Stück Brot mit, das sie dem fremden Kind geben wollten. Richtig bekamen sie es wieder zu sehen; aber auch diesmal entschwebte es ihnen jedesmal, wenn sie ihm nahe waren. Nun trieb die Neugierde auch andere Kinder herbei; allein diese konnten des Wunderknäbleins nie ansichtig werden, während die Erscheinung den ersteren stets sichtbar blieb. - Einige meinten, das Knäblein sei ein Bergmännlein gewesen; andere aber mutmaßten, es sei ein Venedigermännle gewesen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 16, S. 24.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.