240. Wilde Männle auf dem Ochsenberg bei Tiefenbach.

In den Zeiten, in denen Tiefenbach noch nicht vereinödet war und aus den beiden geschlossenen sOrtschaften "Dorf" und "Winkel" bestand, hausten noch auf dem nahen Ochsenberge wilde Männle. Sie lebten von Kräutern, und die Gemsen waren ihre Geißen. Gegen die Leute waren sie gutgesinnt und zeigten sich ihnen gar oft dienstgefällig und behilflich. Im Frühjahr, wenn die Felder bestellt wurden, kamen sie oft vom Berge herab und pflügten während der Nacht die Äcker, und wenn dann morgens die Arbeiter Hand anlegen wollten, war schon alles getan und fertig. Auch halfen sie oft den Holzern bei der Arbeit, hüteten die Viehherden oder erwiesen den Bauersleuten sonst Liebesdienste. Einmal erschien nun auch ein solches Männle auf der Felswand oberhalb des Wasachs und rief den Leuten herunten zu: "Saget der Stuzze Muzz, sie solle heimkommen, denn Sala Wenzel sei g'storben." Damals hat aber bei einem Bauern im Dorfe eine Magd dieses Namens, die aus dem Geschlechte der Wilden war, gedient. Sie war stets fleißig und rechtschaffen gewesen und ward von jedermann darum geschätzt und geachtet. Als man nun dieser die Nachricht hinterbrachte, die das Männle aufgetragen hatte, verließ sie sogleich den Dienst und ging davon, und niemand hat später mehr etwas von ihr erfahren. Auch die wilden Männle sind hernach auf dem Ochsenberge verschwunden, man weiß aber nicht warum.


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 240, S. 250.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.