283. Walserstreiche.

10.

Einen Walser Burschen schickte man einmal mit einem Butterwecken nach Oberstdorf und trug ihm auf, wenn er auf dem Wege etwa Sprünge und Spälte sehen sollte, so solle er sie mit Butter wieder zustreichen; meinten natürlich allenfallsige Sprünge und Spälte am Wecken, die nach ihrer sonderbaren Meinung dieser leicht von der großen Hitze bekommen könnte. Der Walser aber faßte die Sache anders auf; denn als er auf dem Wege infolge großer Trockenheit eine Menge Sprünge und Risse sah, fing er an, diese alle sorgfältig mit Butter zuzustreichen, und als er in kurzem den ganzen Wecken verstrichen hatte, lief er zurück und erklärte, der Butter habe gar nicht einmal ausgereicht, soviel Sprünge habe er angetroffen; er sei nicht einmal halbwegs nach Oberstdorf gekommen, so habe er keinen mehr gehabt.

11.

Zwei Walser schlichen sich einmal in dunkler Nacht in eine Obstbuindt um Birnen zu stehlen. Nachdem sie einige Bäume geschüttelt hatten, fingen sie an die gefallenen Birnen auf dem Boden aufzulesen. Da erwischte der eine in der Dunkelheit unter anderm auch einen toten Frosch, dem die Füße weggemäht worden waren. Weil sich nun das Ding so lind anfühlte, glaubte der Walser, er habe da eine recht weiche, taige Birn gefunden, die er gleich essen wollte. Sie schmeckte aber doch nicht recht besonders, und als er beim Zerbeißen gar auf Knochen stieß, kam ihm das von einer Birn doch etwas eigenartig vor, und verwundert fragte er seinen Gefährten: "Du Joder, haischt du nie nüd g'hört, hat a taige Bire au as Bei (Beiner)?"

12.

Die Walser hatten einmal vernommen, daß draußen im Schwäbischen eine Feldkapelle stehe, zu der die Leute immer Wallfahrten machten. Da beschlossen sie, dahin gemeinschaftlich ebenfalls einen Gang zu tun, und der Mesner, der sich schon zum voraus den Schlüssel verschafft hatte, führte den Zug. Leider aber hatte er das meiste von der Wegbeschreibung wieder vergessen und erinnerte sich nur noch soviel, daß das Kirchlein ganz einsam mitten in den Feldungen stände, und daß man es schon von weitem weiß entgegenblinken sehe; man dürfe dann nur gerade darauf losgehen. Als sie in das Schwäbische gekommen, war da seithalbs des Wegs eine weite Öschfläche, darauf ein Schimmel weidete. Wie nun die Walser hier etwas Weißes herüberblinken sahen, waren sie der Meinung, das sei die Wallfahrtskapelle, und beteten um so lauter und steuerten schnurstracks darauf los. Als sie herangekommen waren und nun der Mesner mit dem Schlüssel aufschließen wollte, schlug der Gaul aus. Da rief der Mesner bestürzt und die andern im Chor nach:

O hailigs Gotteshus,
Schlag do it hindanus!

13.

Ein Walser hatte einmal eine Reise nach Kempten vor, wo er Geschäfte abzuwickeln hatte. Weil er nun gehört hatte, daß die Rubener viel weniger weit nach Kempten hätten, so begab er sich am Vorabende nach Rubi. Auf die Nacht kehrte er aber wieder zurück, und als er zu Hause ins Bett ging, sprach er voller Befriedigung: "So, jetzt hab ich für morgen einen guten Fürhüpfel gegangen!" Er glaubte, die Wegstrecke für den kommenden Tag gekürzt zu haben.

14.

Ein Fremder fragte einmal einen Walser, was für einen Kirchenpatron sie im Tale hätten. Das wußte der Walser nicht, wollte aber doch eine Antwort geben und sprach: "Den färigen", d. i. den vorjährigen.

15.

Zwei Walserinnen hatten einmal eine Wallfahrt nach Maria Einsiedeln unternommen und waren in einem Bauernhause übernacht geblieben. Als sie gegen Morgen aufwachten, wollte eine von ihnen zum Wetter schauen und machte das Fenster auf. Weil aber die Läden zu waren, so sprach sie: "Potz tused, der Himmel ist voller Bretter!" Die andere aber hatte statt des Fensters in der Dunkelheit einen Speiseschrank aufgemacht, und da soll sie gerufen haben: "O weh! 's Wetter schmeckt nach Backsteinkäs!"

16.

Eine Walserin, der das Eierkaufen zu kostspielig geworden war, wollte es nun selbst mit der Hühnerzucht probieren und kaufte sich darum in Oberstdorf eine Anzahl junger Hühle, um sie anzuziehen und so auf billige Weise zu Hennen zu kommen. Weil aber der guten Walserin die Eigenart und Lebensweise dieses Federviehes noch neu war, wollte sie sich erkundigen, wie es mit dem Futter zu halten sei, und fragte die Händlerin: "Sind sie schu abgwennt oder suge schi no?" und meinte, es sei hier wie bei den Kälbern. Viele aber sagen aus diesem Anlaß, die Walser zählten die Hennen und all das andere Federzeug überhaupt zu den Säugetieren.

17.

Ein Walser wollte einmal sein Haus verkaufen. Da sich aber im Tale kein Käufer fand, so beschloß er ins Schwabenland hinauszugehen, um es dort zum Kauf anzubieten. Er glaubte aber hiebei besser zu fahren, wenn er ein Muster mitnehme, und darum brach er aus einer Mauer am Hause einen tüchtigen Stein heraus, schleppte diesen mit sich und ging dann draußen in Oberstdorf und anderorts von Haus zu Haus und sprach: "Kauft ihr kein Haus? Da wär' as Muster!" und zeigte dann den Stein.


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 283, S. 289ff.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.