64. Mißachtetes Vergeltsgott.

In einem Bauernhause war einstmals öfters ein fremder umherreisender Mann übernacht geblieben, und ehe er dann des Morgens wieder weiter ging, zahlte er für die Nachtherberge jedesmal nicht anders als mit einem "Vergeltsgott". Der Bauer aber, der es überhaupt am liebsten nur mit klingender Münze hielt, achtete auf bloße Dankworte wenig; ja als wieder einmal sich der Mann damit verabschiedet hatte, spöttelte er sogar darüber, solche "Vergeltsgott" habe er auf der Obrate (dem Dachboden) droben haufenweis liegen.

Später geschah es, daß der Bauer starb und geisten mußte. Er erschien alle Nacht in dem Hause und lief die Stiege, die zur Obrate führte, ruhelos auf und ab und seufzte und jammerte: "Ich kann's nicht nehmen, ich kann's nicht nehmen!" Er hätte aber die Vergeltsgott, die er angeblich auf dem Dachboden liegen und die er im Leben so gering geachtet hatte, in der Ewigkeit gebraucht.

Nach einiger Zeit kam nun wieder einmal der Fremde, um wie gewöhnlich übernacht zu bleiben; allein die Tochter erklärte, sie könne ihn diesmal wohl nicht mehr aufnehmen, denn es geiste nun im Hause, und der Vater komme alle Nacht, und erzählte, was immer vorkomme. Der Mann aber ließ sich nicht davon abschrecken und sagte, er wolle einmal selbst mit dem Geiste sprechen; vielleicht könne er ihn erlösen. Richtig erschien der Verstorbene des Nachts wieder und offenbarte nun dem Reisenden, er müsse geisten, weil ihm die Vergeltsgott abgehen, die er einst so wenig estimiert habe. Der Mann wiederholte nun alle noch einmal und erlöste damit den Geist, der von da an nie mehr erschien.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 64, S. 66 - 67.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.