145. Der Totenkopf.
Zwei Burschen von Hinterhornbach im Lechtale gingen eines Abends über
den Friedhof in das Wirtshaus. Auf dem Wege des Friedhofs lag ein Totenschädel,
welchen der eine der Burschen mit dem Fuße wegstieß und spöttisch
sagte: "Du Glatzkopf, magst nit heunt mit mir auf d' Nacht essen?"
Als der andere dies hörte, verwies er ihm ernstlich den Frevel; jedoch
der Frevler lachte dazu. Im Wirtshause saßen sie lustig und weinselig
und spielten bis spät in die Nacht, bis gegen Mitternacht. Da tat
es draußen vor der Tür auf einmal drei heftige Schläge,
denn die Tür war abgeschlossen, um ungestört spielen zu können.
Da keiner die Tür zu öffnen wagte, so klopfte es dreimal, und
eine hohle Stimme verlangte eingelassen zu werden. Als aber auch zum dritten
Male keine Menschenseele aufmachte, sprang die Tür von selbst auf,
und herein trat ein grauses Skelett im weißen Totenhemd. Das ging
auf den Frevler zu und sprach hohl und furchtbar die Worte: "Weil
du mich auf dem Friedhofe mit dem Fuß gestoßen und noch dazu
Spott getrieben, mich zum Abendessen geladen, so bin ich nun gekommen
und lade auch dich ein. Heut an mir, morgen an dir!" Das sagte das
Totengerippe, und keine Silbe mehr, und ging fort. Aber dem Frevler wurde
ganz anders zu Mute, ihm gellte die Totenstimme unaufhörlich in den
Ohren; er wurde vor Schrecken ganz grau und alt wie ein Greis, und am
andern Tag lag er tot im Zimmer. "Heut an mir, morgen an dir!"
ist nur zu geschwinde zur Wahrheit geworden.
Quelle: Allgäuer
Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter
des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München
1914, Nr. 145, S. 150 - 151.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.