8. Der Riesenlatscher bei Sibratzhofen [Sibratshofen].
Zwischen Sibratzhofen und Wilhams in der Nähe des "Riesele",
wo früher ein Wald stand, der nun schon längst abgetrieben ist,
ließ sich ehedem des Abends oder Nachts oftermalen ein riesengroßer,
in einen Mantel verhüllter Mann blicken, den man, weil er auf der
Straße so schwerfällig daher "latschte", den "Riesenlatscher"
hieß. Er kam gewöhnlich unter einer Straßendole (Wasserdurchlaß)
heraus, wandelte hin und her, sprang auch zuweilen den Fliehenden nach
und hatte sonst seine Freude daran sie recht zu schrecken oder in die
Irre zu führen, ward daher auch von vielen arg gefürchtet. Er
verschwand meist plötzlich, und wenn man ihm etwa nachgehen oder
ihn suchen wollte, fand man nie etwas. Am meisten belästigt wurden
die Leute, wenn sie in der Mühle etwas zu tun oder zu holen hatten.
Einmal kam auch in dunkler Nacht ein Metzger von Ravensburg, den man schon
beim Wirt in Sibratzhofen vor dem "Riesenlatscher" oder "Rieselelatschergeist"
gewarnt hatte, des Weges und wollte nach Missen. Kaum war er eilend eine
Viertelstunde gegangen, so "wurden seine Schritte wie gelähmt",
und er konnte fast nicht mehr vorwärts kommen. Da schlug er mit seinem
Stocke tapfer um sich, hetzte seinen großen Metzgerhund an, und
da kam es ihm vor, als hörte er etwas Schweres über die Straßenböschung
hinunter "drolen", und nun konnte er ungehindert weitergehen.
Von da an habe man von dem Geiste nie mehr gehört. Viele glaubten
aber, der Riesenlatscher sei gar kein Geist gewesen, sondern ein verkleideter
Mann von Sibratzhofen, der es darauf abgesehen habe, die Leute zu schrecken
und dann ihr Gepäck sich anzueignen, wenn sie es, um schneller fliehen
zu können, wegwarfen. Manche aber meinten, dieser Straßenlagerer
habe den einstigen echten Riesenlatschergeist nur nachgeahmt um leichter
seine räuberischen Absichten ausführen zu können.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen,
Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt
von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 8, S. 13 - 14.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.