294. Nadeberger [Nadenberg] Stückle.

1.

Die Nadeberger bei Lindenberg wollten einmal an einem Hausgiebel etwas ausbessern. Als sie die längste Leiter, die sie hatten, angelehnt hatten, zeigte es sich aber, daß sie nicht ganz hinaufreichte und nur etwa ein Klafter fehle. Da wußten sie anfangs nicht, was sie tun sollten, und sannen nach einem Vortel. Nach langem Überlegen sprach endlich einer: "Männer, wir sind doch recht unpraktisch; das Stück, das oben fehlt, können wir unten leicht vermissen, wenn wir uns da einander hinaufheben. Wir dürfen also nur das untere Klafter wegsägen und oben anstückeln, dann wird die Leiter in der Länge gerade recht." Da waren alle erfreut über diesen guten Einfall, und sie ließen die Leiter nieder, sägten unten den Teil weg und stückelten ihn am andern Ende sorgsam an. Wie es aber hernach gegangen, haben die Nadeberger nie verraten.

2.

An einem kalten Wintertage kamen sie einmal in einem Hause zur Hohstube zusammen. Ein jeder aber wollte sich zum warmen Ofen auf die Ofenbank setzen, und nun zeigte es sich, daß trotz ihres engen Zusammenrückens der Platz gerade beim letzten verrann. Damit nun aber dieser auch noch sein Plätzle fände und keinem eine Ausnahme geschähe, gingen sie daran, die Bank um das Wenige, was sie zu kurz war, zu strecken. Sie zogen an den beiden Enden des Sitzbrettes längere Zeit ganz unbändig, so daß es ihnen in ihren dicken Winterschöpen alsbald zu warm wurde und sie diese ablegten. Als sie hernach sich auf die Bank setzten, sieh, da hatten sie alle Platz, weil sie eben ihre dicken Röcke nicht mehr anhatten. Die guten Nadeberger waren aber nicht anders als der Meinung, sie hätten die Bank gestreckt.

3.

Da Nadeberg auf einem Bergrücken liegt, wo kein fließendes Wasser zu haben ist, so gingen sie einmal daran, einen Brunnen zu graben. Ein Brunnenfinder hatte ihnen eine Stelle angewiesen; wenn sie da so und soviel Manneslängen hinunter grüben, würden sie auf Wasser stoßen. Wie sie nun schon weit hinuntergekommen waren, so daß von allen Seiten mächtig Wasser eindrang, hätten sie gerne gewußt, ob es mit der angegebenen Anzahl von Manneslängen auch seine Richtigkeit habe. Um das am sichersten herauszubringen, legten sie oben am Schacht eine Stange quer über, einer unfaßte sie mit den Händen und hing sich hin, und nun mußte einer nach dem andern sich an die Füße des Vormanns hängen. Da wurde es dem obersten aber, wie man sich denken kann, bald sakrisch schwer, so daß ihm die Hände an der Stange auszugleiten drohten. Da rief er den andern zu: "Männer, hebet an Augeblick reacht fest! I mueß gschneall a bißle in d' Händ spuibe!" Das taten die wohl, aber es half nichts, und sie plumpsten alle hinab ins Wasser.


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 294, S. 303f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.