183. Hirtenzauberei.

1.

Im Schwarzwasser, einem Seitental vom Lechtel gegen den Hochvogel zu, war einmal ein Hirt, den man den Gaishißar hieß, und der "hert voller Schelmenpossen war" und auch sich auf Hexenkünste verstand. Wenn er haben wollte, daß die Herde den Tag über auf dem und dem Platz weide, so schritt er am Morgen denselben bloß ringsum ab, trieb dann das Vieh dahin und konnte nun tagsüber des Weges gehen, wohin er wollte, und brauchte sich um keine Hut mehr zu kümmern, denn das Vieh konnte um keinen Schritt über den in Zauberweise abgegrenzten Weideplatz hinaus. Dieses Hexenstück wollte nun der Hirt auf der Taufersalpe auch lernen. Dazu hätte er aber sieben Stück Vieh lebendig die Haut abziehen müssen. Er soll die entsetzliche Grausamkeit auch probiert haben, aber beim siebenten Stück erschien der Teufel, und der Hirt entfloh.

2.

Am Läner zwischen dem Erzberg im Hintersteinertal und dem Schwarzwasser haben einmal drei Burschen die Hexenkünste lernen wollen. Sie sollten nach Anleitung des Hexenmeisters unter anderm auch ein Stück Vieh lebendig schinden und ihm die Haut abziehen. Als sie damit aber schon begonnen hatten, entrann ihnen das Tier und sprang davon. Am andern Tag wollten sie es wieder probieren; da sie aber gehört hatten, daß man sich dabei ordentlich vorsehen müsse, nahmen sie diesmal "Goldwurzen" (Türkenbund) mit und legten sie neben sich hin. Wie sie nun an dem grausamen Geschäfte waren, erschien plötzlich der Teufel. Da sprangen sie alle zu den Goldwurzen, setzten sich darauf und riefen dem Teufel zu:


"Wärest du gestern 'kommen,
Hättest uns all' drei bekommen."


So aber waren sie durch die Goldwurz geschützt, und der Böse hatte über sie keine Macht und mußte abziehen. Aber auch die Burschen ließen nun von ihrem Vorhaben ab und wollten keine Hexenkünste mehr lernen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 183, S. 190 - 191.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.