274. Gestrafte Eitelkeit.
In Weitnau war in alten Zeiten einmal eine Bauernföl; die war gar
hoffärtig und eitel und konnte an Sonn- und Feiertagen mit ihrem
Aufputz nie fertig werden, daß sie darob regelmäßig zu
spät in die Kirche kam und oft die Predigt und das halbe Hochamt
versäumte. Wenn man sie dann zur Rede stellte, lachte sie bloß.
An einem hohen Festtage war sie nun wieder einmal zu spät daran;
da fiel ihr auf dem Kirchwege ein, sie habe ihr neues schönes Halsband
mit dem Otterkopf vergessen, und - statt in die Kirche zu eilen, kehrte
sie, obgleich sie weit zu gehen hatte, wieder um, das Band zu holen und
damit Staat zu machen. Weil sie aber dadurch fast den ganzen Gottesdienst
versäumte und ihr der Halsschmuck mehr galt als ihr Seelenheil, so
ereilte sie zur Stelle auch Gottes Strafe. Das Band verwandelte sich,
sobald sie es um den Hals geschlungen und sich in dem Spiegel wohlgefällig
betrachtet hatte, zu einer Schlange, die sich gar nicht mehr entfernen
ließ und die sie zeitlebens fest um den Hals geschlungen tragen
mußte.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers
"Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus"
ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 274,
S. 283f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.