258. Die alte Burg Schwanstein.

Auf dem Platze, wo jetzt das Schloß Neuschwanstein steht, hat früher eine alte Burg gestanden, von der man noch Mauern und Überreste sah, ehe man das jetzige Schloß zu bauen angefangen. Auf diesem alten Gemäuer sah man des Nachts oftermalen einen Geist in einem weißen Priestergewande hin und hergehen. Zuletzt stürzte er sich jedesmal über die Felsen hinab in die Pöllatschlucht und verschwand dort.

Auch ein Schatz lag in diesen Ruinen verborgen und wurde von einer Frau gehütet. Man hat diese öfters gesehen, und einmal kam sie sogar zu Leuten, die in der Nähe arbeiteten, und sagte ihnen, daß in der Burg in einem Gange eine große Kiste voll Geld wäre, das sie alles nehmen könnten, wenn sie den großen schwarzen Hund, der auf der Kiste sitze, nicht fürchteten, und mit der Wurzel, die nebenan liege, die Truhe aufschlössen. Als die Leute aber zum Gange kamen, ergriff sie eine gewaltige Furcht und sie flohen davon.

Später aber hat es ein armer Mann von Schwangau lange versucht, den Schatz zu heben, und gar oft und fleißig in dem Gemäuer herumgegraben, obgleich ihn die Leute der Umgegend dessentwegen oft verspotteten und auslachten. Zuletzt aber scheint er doch zum Schatz gelangt zu sein; denn er baute sich auf einmal ein großes, schönes Haus, richtete einen Laden ein, und da er fortan immer Geld genug hatte, sagte man insgemein, er habe den Schatz im alten Schlosse gehoben und sei davon so reich geworden.



Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 258, S. 266f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.