Vom Hachinger Bach

Vor vielen hundert Jahren stand zwischen Perlach und Berg am Laim unweit München eine stattliche Mühle, deren Räder getrieben wurden von dem Wasser des Hachinger Baches. Es war die größte Mühle auf viele Stunden im Umkreis und brachte ihren Besitzern viel Geld ein. Die Besitzer waren zwei Brüder, die beständig im Streite miteinander lagen, wer von ihnen mehr Recht auf die Mühle habe. So wurden sie ihres Besitzes nie froh; ja der Streit wurde immer heftiger und eines Tages gerieten sie so in Wut, daß sie schon aufeinander los schlugen. Das war am Nachmittage. In der Nacht begab sich der Jüngere mit einer Schaufel leise aus dem Hause und begann dem Bache oberhalb der Mühle ein anderes Bett zu graben. „Lieber soll die Mühle stille stehen“, dachte er bei sich in bliner Wut, „als daß ich sie meinem Bruder überlasse.“

Doch der stand auch schon hinter ihm und stellte ihn zornig zur Rede. Da hub ein wildes Ringen an zwischen den Brüdern – bis der jüngere den Arm frei bekam, die Schaufel hoch in der Luft schwang und den andern damit niederschlug. Mit einem gräßlichen Fluche ging er von dannen. Am Morgen standen die Räder der Mühle still. Kein Bach war mehr zu sehen. Dort aber, wo die schauerliche Tat geschehen war, verschwand alles Wasser spurlos in den Boden.

Die Mühle ist längst zerfallen, nichts erinnert mehr an sie. Der Hachinger Bach aber, ein lustiger Bach bis zu jener Stelle, versiegt dort heute noch traurig in den Boden – auf dem freien Felde zwischen Perlach und Berg am Laim, unweit München.

Quelle: Originalbeitrag von Wilhelm Dieß.
Altbayerische Sagen, Ausgewählt vom Jugendschriften-Ausschuss des Bezirkslehrervereins München, München 1906.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2013. 
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