Herzog Christophs Stein

Zu München in dem Bayerland,
Da ist’s gar hübsch und fein;
Zu München in dem Königsschloß,
Da liegt ein großer Stein.*)
Er liegt gebunden gut und fest
An einer Kette dort,
Doch sagen kann ich nicht warum,
Ihn trüg ja keiner fort.
Der jungen Herren gehen viel
Zu München aus und ein,
Doch alle lassen ruhig stehn
Denselben großen Stein.
Ein Herzog war im Bayerland,
Vor allen keck und kühn,
Der warf den Stein mit leichter Hand
Ein gut Stück Wegs dahin.
Und Christoph hieß der Herzog kühn,
Ein Held so wohlbekannt,
Wie weit er warf, wie hoch er sprang,
Das steht dort an der Wand.
Und kömmst du einst nach München hin
Und gehst ins Schloß hinein,
Vergesse mir vor allem nicht
Des Herzogs großen Stein!
Und wirfst du ihn, wie er so weit,
Und springst auch so gewandt:
Dann schreibt man deinen Namen auch
Zum Herzog an die Wand.
Doch weil noch keiner kam und sprang
Und warf so weit den Stein.
Drum soll der Fürst der Bayern stets
Von uns gepriesen sein.
Und mögen unsern Fürsten all
Der liebe Gott verleihn
Aus jeder Not den rechten Sprung
Und Kraft für jeden Stein.

Guido Görres

Über dem Stein liest man auf einer Marmortafel an der Mauer, an welcher auch drei Nägel übereinander die Sprunghöhen andeuten folgende Reime:

Als nach Christi Geburt gezählet war
Vierzehnhundert neunzig Jahr.
Hat Herzog Christoph Hochgeboren
Ein Held aus Bayern auserkohren
Den Stein gehebt von freier Erd
Und weit geworfen ohn gefehrd.
Wigt drey hundert vier und sechzig Pfund,
Das gibt der Stein und Schrift Urkund.
Drey Nägel stecken hie vor Augen,
Die mag ein jeder Springer schaugen.
Der höchst zwölf Schuh von der Erd,
Den Herzog Christoph ehrenwerth
Mit seinem Fuß herab thät schlagen,
Kunrath lief bis zum andern Nagel,
Wohl von der Erd zehnthalb Schuech.
Neunthalb Philipp Springer lief,
Zum dritten Nagel an der Wand.
Wer höher springt wird auch bekannt.

*) In der Residenz zu München unter dem Torbogen zwischen Kapellen- und Brunnenhof

Quelle:
Altbayerische Sagen, Ausgewählt vom Jugendschriften-Ausschuss des Bezirkslehrervereins München, München 1906.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2013. 
© digitale Version: www.SAGEN.at .