DIE TREUE LAUS

Auf eine Zeit saßen viel ehrliche, reiche Weiber in einer Zeche beieinander, unter denen war eine gute, arme Frau. Als sie nun eine Weile gezecht hatten und dabei waren, daß man die Zeche zahlen sollte, wäre die arme Frau gerne weggegangen und hätte Weg und Steg gesucht, damit sie ohne Geld weggekommen wäre. Aber sie wußte keinen Rat, bis es sie auf einmal im Busen biß. Danach griff sie, fing es und sprach: »Wohlan, ihr lieben Leute, ich habe einen Floh gefangen. Den will ich auf meinen Teller setzen, und zu welcher er springt, die soll die Zeche für mich bezahlen.« Die Weiber waren des wohl zufrieden und sprachen: »Gern.« Die Frau setzte ihren vermeintlichen Floh auf den Teller - aber, Gott, da war es eine Laus, die blieb bei ihr. Deshalb mußte sie die Zeche selbst bezahlen.


Quelle: Martin Montanus, Das Ander theyl der Gartengesellschafft (um 1560). In: M. M.: Schwankbücher. Hrsg. von Johannes Bolte. Tübingen 1899. Kap. 68 (70).
aus: Leander Petzoldt, Deutsche Schwänke, Baltmannsweiler, 2002, S. 166