Der Königssohn, der sich nach der Unsterblichkeit sehnte.
Es war einmal, ich weiss nicht wo, jenseits von siebenmal sieben Königreichen
und noch weiter, auch jenseit des Operenzmeeres, auf der zusammengefallenen
Seite eines zusammengefallenen Ofens, in der siebenundsiebzigsten Falte
eines Altweiberrockes ein weisser Floh. In dessen mittelster Mitte war
eine glänzende, königliche Stadt; in der Stadt aber wohnte ein
ältlicher König, der hatte einen einzigen, vielversprechenden
Sohn. Um es kurz zu sagen: auf diesen Sohn setzte der König grosse
Hoffnungen; darum liess er ihn in allen Wissenschaften unterweisen; dann
schickte er ihn in fremde Länder, damit er etwas sehe, höre
und erfahre.
Mehr als ein Jahr war der Königssohn nun schon dort herumgereist,
als er schliesslich auf seines Vaters "Wunsch heimkehrte. Aber auf
den vielen Wanderungen hatte der Königssohn seine Natur ganz geändert;
er war nachdenklich und traurig geworden. - Das machte den König
ganz stutzig, und er sann nach, was wohl die Ursache dieser grossen Veränderung
sein könnte. Er sprach jedoch zu niemandem davon; nur in sich brütete
er darüber, bis er auf den Gedanken kam, der Königssohn sei
sicherlich verliebt, darum sei er so nachdenklich.
Da geschah es einmal, dass der König mit dem Königssohn selbander
im Speisesaal der königlichen Residenz war; da nahm der König
seinen Sohn beim Arm, führte ihn in das Nebenzimmer, das war ganz
voll mit allerlei schönen Mädchenbildern, und sprach zu ihm:
"Mein lieber Sohn, du bist sehr missmutig. Es wäre gut, wenn
du heiratetest. Sieh, in diesem Zimmer sind alle Kaiser-, Königs-
und Fürstentöchter abgemalt; du kannst nach deinem Gefallen
wählen. Welche am meisten nach deinem Herzen ist, die nimm dir zur
Gemahlin! Nur lass mich dich besserer Laune sehen!"
"Ach, mein lieber königlicher Vater," erwiderte der Königssohn,
"weder Liebe noch Heiraten bekümmern mich. Aber der Gedanke
macht mich traurig, dass alle Menschen, auch die Könige, einmal sterben
müssen. Deshalb möchte ich ein Reich auffinden, wo der Tod keine
Macht hat. Auch bin ich fest entschlossen, und sollte ich mir auch die
Füsse bis zu den Knieen ablaufen, so lange will ich wandern, bis
ich es finde."
Der alte König wandte alles auf, seinen Sohn von seinem Vorhaben
abzubringen; er sagte ihm, das sei unmöglich. Er erzählte ihm,
dass er schon fünfzig Jahre dieses Landes König sei, immer zufrieden
und glücklich gelebt habe, und zugleich bot er seinem Sohne an, dass
er ihm auch das Königreich übergeben wolle; nur möge er
wieder guter Dinge sein und daheim bleiben. Aber der Königssohn blieb
fest bei seinem Vorsatz. Am andern Morgen band er ein Schwert an die Seite
und machte sich auf die Reise.
Als er schon seit mehreren Tagen aus seines Vaters Reich gewandert war
und so auf der Strasse schlenderte, sah er von weitem einen riesengrossen
Baum, als wenn da in seinem Wipfel ein grosser Adler schwebte. Er trat
näher an den Baum; da sah er, dass wirklich ein grosser Adler in
dem Wipfel dieses grossen Baumes die Äste tüchtig rüttelte
und die Zweige nach allen Seiten auseinander trieb.
Wie er noch darüber staunt, überlegt sich's der Adler, lässt
sich neben dem Königssohn nieder, schlägt einen Purzelbaum;
da wird er zu einem König und fragt den erstaunten Königssohn:
"Worüber wunderst du dich, Brüderchen?"
"Nun wahrhaftig, ich wundere mich," entgegnet dieser, "warum
du dieses grossen Baumes Wipfel rüttelst."
Darauf sagt der Adlerkönig:
"Siehst du, ich bin dazu verdammt, dass weder ich noch einer von
meiner Sippschaft sterben darf, bis ich diesen Baum hier mit der Wurzel
ausgerüttelt habe. Aber es ist schon Abend; heute arbeite ich nicht
weiter, sondern gehe nach Hause, und auch dich werde ich gern als Gast
zur Nacht in meinem bescheidenen Hause sehen." Der Königssohn
schlug ein, und sie spazierten zusammen zur Residenz des Adlerkönigs.
Nun hatte aber der Adlerkönig eine wunderbar schöne Tochter;
die empfing ihren Vater und den königlichen Gast und liess sogleich
den Tisch decken und versorgte sie mit Abendbrot. Während des Nachtmahls
fragte der Adlerkönig unter anderen Gesprächen den reisenden
Königssohn, was das Ziel seiner Reise sei. Der Königssohn eröffnete
ihm darauf, dass er just so lange umherreisen wolle, bis er ein Reich
gefunden, wo der Tod keine Macht habe.
"Nun, lieber Bruder," sagte der Adlerkönig, "da bist
du gerade an den rechten Ort gekommen. Hörtest du nicht, dass weder
über mich noch über einen meiner Sippschaft der Tod irgendwelche
Macht hat, bis ich jenen grossen Baum mit Stamm und Wurzel ausgerüttelt
habe? Bis dahin werden wohl sechshundert Jahre verstreichen. Heirate meine
Tochter, und hier bei mir könnt ihr dann lang genug leben!"
"Ach, lieber Herr Bruder König, das wäre alles ganz schön;
aber nach sechshundert Jahren müssen wir dann doch sterben. Ich dagegen
will einen Ort auffinden, wo der Tod niemals Macht haben wird!"
Auch die Königstochter hiess ihn bleiben; denn sie waren schon vertraut
mit einander geworden; aber auch sie konnte ihn auf keine Weise zum Bleiben
bewegen. Schliesslich gab sie ihm, damit er nicht ohne ein Andenken wieder
von ihr gehe, ein Kästchen, auf dessen innerem Boden ihr Bild gemalt
war, und sagte ihm:
"Nun, du Königssohn, da du doch keinesfalls bei mir bleibst,
so nimm dieses Andenken! Ihm ist diese Kraft zu eigen: wenn du auf deiner
Wanderschaft müde wirst, öffne das Kästchen, schaue mein
Bild an, und du kannst reisen, wie es dir einfällt; wenn du willst,
in der Luft, wenn dort der Wind zu scharf geht, auf der Erde, wie der
schnelle Gedanke oder wie der schnelle Wirbelwind."
Der Königssohn bedankte sich für das Kästchen und steckte
es in die Tasche. Anderntags nahm er Abschied vom Hause des Adlerkönigs
und setzte seine Reise fort.
Eine Weile war er auf der Landstrasse gegangen; aber nach einiger Zeit
begann er müde zu werden, und das Kästchen fiel ihm ein; er
zog es nun hervor, öffnete es und schaute das Bild der Königstochter
an und dachte bei sich: "Könnte ich dahineilen wie der schnelle
Wind oben in der Luft!" und sofort wurde er emporgehoben und eilte
dahin wie der schnelle Wind.
Als er eine gute Strecke zurückgelegt hatte und oberhalb eines riesig
grossen, hohen Berges dahineilte, sah er, dass ein kahlköpfiger Mann
mit Spaten und Haue Erde vom Gipfel des Berges in einen Korb lud und abwärts
trug. Der Königssohn hält an und wundert sich darüber.
Der kahlköpfige Mann hält auch an und fragt den Königssohn:
"Worüber wunderst du dich, Bruder?"
"Nun wahrlich ich wundere mich, wohin Ihr diesen Korb mit Erde von
hier tragen mögt!"
"Ach, lieber Bruder," sagt der Alte, "ich bin dazu verdammt
worden, dass weder ich noch jemand aus meiner Familie sterben kann, bis
ich den grossen Berg mit diesem Korb abgetragen und den Platz hier eben
gemacht habe. Aber es wird schon Abend; heute arbeite ich nicht mehr."
Damit schlug er einen Purzelbaum, und aus ihm wurde ein kahlköpfiger
König, der trat zu dem reisenden Königssohn und lud ihn ein,
bei ihm zu übernachten. Sie gingen zusammen zur Residenz des kahlen
Königs; der hatte nun aber eine noch hundertmal schönere Tochter
wie der vorige; die empfing sie herzlich und versorgte sie geschwind mit
einem Nachtmahl. Während des Nachtmahls befragte der kahle König
den reisenden Königssohn, wie lange er umherreisen wolle, worauf
der Königssohn wiederum antwortete, dass er so lange umherreisen
wolle, bis er ein Reich finde, wo der Tod keine Macht habe.
"Da kommst du gerade an den rechten Ort," sagt auch der kahle
König. "Denn wie ich dir sagte, bin ich dazu verdammt worden,
dass weder ich noch einer meiner Familie sterben kann, bis ich jenen grossen
Berg ganz abgetragen habe; bis dahin werden wohl achthundert Jahre vergehen.
Heirate meine Tochter; soviel sehe ich ohnehin, dass ihr euch zusammen
nicht langweilt, und achthundert Jahre lang könnt ihr genug leben."
"Allerdings"; sagt der Königssohn, "aber ich will
dorthin gehen, wo der Tod niemals Macht haben wird."
Damit stand er auf, und nachdem er gute Nacht gesagt hatte, ging er in
sein Schlafzimmer. Am andern Tag standen alle sehr früh auf; die
Königstochter bat den Königssohn aufs neue, zu bleiben; aber
er blieb durchaus nicht. Damit der Königssohn nicht ohne jedes Andenken
fortgehe, gab sie ihm einen goldenen Ring, der hatte die Kraft, wenn sein
Eigentümer ihn am Finger drehte, so war er sofort dort, wo er zu
sein wünschte. Der Königssohn nahm den Ring, bedankte sich dafür,
und dann nahm er Abschied und machte sich wieder auf den Weg.
Eine Weile war er auf der Landstrasse gegangen, da kam ihm der geschenkte
Ring in den Sinn; er drehte ihn also an seinem Finger und dachte bei sich,
dass er just am Ende der Welt sein möge. Er schliesst die Augen,
und wirklich, in einem Augenblick, als er die Augen öffnet, ist er
inmitten einer prächtigen, königlichen Stadt und geht in ihren
Strassen auf und ab. Er sah viele Menschen in sonderbarer Kleidung und
von sonderbarer Gestalt; in siebenundzwanzigerlei Sprachen versuchte er
mit ihnen zu reden; denn so viele Sprachen kannte der Königssohn;
aber niemand antwortete ihm auf eine. Das bekümmerte ihn; denn was
sollte er hier thun, wo er sich mit niemandem unterhalten konnte! Er spaziert
solange umher in seinem Kummer, bis er auf einmal einem so gekleideten
Menschen begegnet, wie sie in seinem eigenen Lande zu gehen pflegen; er
spricht ihn in seiner eigenen Sprache an; der kann auch wirklich darauf
antworten. Zu allererst fragt er ihn also, was dies für eine Stadt
sei. Der Mann setzt ihm auseinander, dass dies die Hauptstadt vom Lande
des Blauen Königs sei; aber der König selbst sei tot, es sei
nur eine liebe, schöne Königstochter da, und die herrsche über
sieben Reiche; denn von dem ganzen Königshause sei niemand anderes
mehr da. Der Königssohn war mit dieser Auskunft zufrieden und fragte
den Mann, ob er ihm die königliche Residenz weisen könne.
"Von Herzen gern," sagte der Mann und führte den Königssohn
zur Residenz und verabschiedete sich dort von ihm. Der Königssohn
betrat die Residenz, und da sass die Prinzessin auf den Stufen der Residenz,
stickte goldglänzende Nebelschleier, und der Königssohn ging
gerade auf sie zu. Die Prinzessin aber stand von ihrem Sitzplatz auf,
und da sie erkannte, dass der Königssohn kein Alltagsmensch war,
führte sie ihn in den Palast und nahm ihn dort wie einen Fürsten
auf. Nach mancherlei Gesprächen, als die Prinzessin das Vorhaben
des Königssohns erfahren hatte, bat sie ihn, dass er bei ihr bleiben
und ihr Gefährte in der Regierung werden möge; jedoch der Königssohn
erklärte, dass er sich nur in dem Reich niederlassen wolle, wo der
Tod keine Macht habe. Da nahm die Prinzessin den Königssohn beim
Arm, führte ihn an die Thür eines Nebenzimmers, und siehe! so
voll gesteckt mit Nähnadeln war der Fussboden jenes Zimmers, dass
auch nicht eine mehr hätte hineingesteckt werden können.
"Nun, du Königssohn," sagt nun das Fräulein, "siehst
du diese zahllosen Nähnadeln? Ich bin dazu verdammt, dass weder ich
noch jemand, der zu meiner Familie gehört, sterben kann, bis ich
diese vielen Nadeln nicht aufgebraucht, beim Nähen abgenutzt habe.
Bis dahin werden aber tausend Jahre verstreichen; wenn du bei mir bleibst,
können wir bis dahin genug leben und regieren."
"Allerdings"; sagt der Königssohn, "aber nach tausend
Jahren müssen wir dann doch sterben; ich hingegen suche ein Reich,
wo der Tod niemals Macht hat."
Die Nebelschleier stickende Prinzessin gab sich Mühe genug, den Königssohn
von seinem Vorhaben abzubringen; schliesslich erklärte er, dass er
nicht bleiben, sondern seine begonnene Reise fortsetzen werde. Da trat
die Prinzessin zum Königssohn und sprach also zu ihm:
"Da ich dich auf keine Weise zurückhalten kann, so empfange
von mir zum Andenken eine kleine goldene Gerte; die hat die Kraft, dass
sie sich im Notfall in das verwandelt, in was du sie verwandelt denkst."
Der Königssohn bedankte sich für das Geschenk der Prinzessin,
steckte es in seine Tasche; darauf nahm er Abschied von ihr und machte
sich aufs neue auf den Weg.
Kaum war er aus der Stadt gelangt, so stiess er dort auf einen grossen
Strom; aber er sah, dass am jenseitigen Ufer die Fensterladen des Himmels
schon heruntergelassen waren und man nicht weiter gehen konnte; denn dort
war das Ende der Welt. Er ging also am Flussufer aufwärts, und wie
er ein Weilchen aufwärts geschritten war, fiel ihm auf einmal eine
strahlende Königsburg in die Augen, die über dem Wasser in der
Luft schwebte; aber trotz allen Umherspähens sah er weder einen Weg
noch eine Brücke dorthin, welche sie mit dem festen Land verbunden
hätte; und doch hätte er so gern die strahlende Burg in Augenschein
genommen. Da fällt ihm plötzlich die goldene Gerte ein, die
er von der Nebelschleier stickenden Prinzessin bekommen hatte; er zieht
sie hervor und wirft sie auf die Erde mit dem Gedanken: Möge aus
ihr ein Steg hin zur strahlenden Königsburg werden! Und sofort wurde
aus der Gerte ein goldner Steg hin zur strahlenden Königsburg. Der
Königssohn säumte nicht lange; er sprang auf den goldenen Steg
und ging auf ihm hinüber zur Burg; - aber wie er in das Thor der
Burg tritt, da bewachen es die allerseltsamsten Wundertiere, wie er ihresgleichen
noch niemals gesehen hatte. Er erschrickt und ruft seinem Schwert zu:
"Schwert aus der Scheide!" Sein Schwert springt auch heraus
und schneidet einigen die Köpfe ab; doch siehe! sogleich wachsen
ihnen andere Köpfe. Darüber erschrickt der Königssohn noch
mehr, ruft sein Schwert in die Scheide zurück, und staunt. Die Königin
der Burg hatte das von ihrem Fenster aus angesehen und sandte sogleich
einen Diener zu ihm, damit ihm die Wächter nichts anthäten,
und befahl dem Diener, dass er den fremden Reisenden zu ihr führe.
So geschah es auch. Der Diener lief geschwind hin, führte den Königssohn
zwischen den Wächtern hindurch vor die Schlossherrin.
Als der Königssohn vor die Königin trat, begann die Königin
zu ihm zu sprechen:
"Das sehe ich, dass du kein Alltagsmensch bist; aber auch das will
ich wissen: Wer bist du und was führt dich her?"
Darauf erzählte der Königssohn, welches Königs Sohn er
sei, und dass er sich auf den Weg gemacht habe, damit er ein Reich auffinde,
wo der Tod keine Macht habe.
"Nun, du stehst am rechten Ort," sagt die Königin, "denn
ich bin des Lebens und der Unsterblichkeit Königin; hier kannst du
dem Tode Trotz bieten."
Sie hiess ihn gleich niedersitzen und nahm den Königssohn freudig
bei sich auf und lud ihn gleich zu Tische ein.
Gerade tausend Jahre weilte nun der Königssohn schon in der strahlenden
Burg; aber sie waren so schnell verflogen wie vordem ein Halbjahr.
Als die tausend Jahre verstrichen waren, war es dem Königssohn eines
Nachts im Traum, als ob er zu Hause mit seinem Vater und seiner Mutter
sich unterhalten hätte. Darüber ergriff ihn das Heimweh so,
dass er sofort, wie er morgens aufgestanden war, der Königin der
Unsterblichkeit verkündete, dass er nach Hause gehen wolle, um seinen
Vater und seine Mutter noch einmal zu sehen. Die Königin der Unsterblichkeit
staunte ob dieser Worte und sprach:
"Ach, du Königssohn, was kommt dir in den Sinn? Es sind ja doch
schon mehr als achthundert Jahre, dass dein Vater und deine Mutter gestorben
sind; von ihnen wirst du weder eine Kunde noch ein Stäubchen auffinden."
Aber sie konnte den Königssohn nicht von seinem Vorhaben abbringen;
so sprach sie denn:
"Nun, wenn du wirklich wieder fortgehen willst, so geh nicht eher,
als bist du mit mir gekommen bist, dass ich dich für die Reise ausrüste."
Sogleich hängte sie ihm eine goldene und eine silberne Flasche um
den Hals und führte ihn erst in ein kleines Nebengemach, zeigte ihm
in dem einen Winkel eine kleine Fallthür, hiess ihn sie öffnen
und sprach:
"Von diesem Wasser, das unter der Thüre ist, fülle deine
silberne Flasche voll. Es ist also beschaffen: wenn du damit irgend jemanden
besprengst, wird er auf der Stelle ein Sohn des Todes, wären vorher
auch tausend Leben sein gewesen."
Dann führte sie ihn in ein anderes Seitengemach, in dessen einer
Ecke gleichfalls eine kleine Fallthür sichtbar wurde; auch diese
hiess ihn die Königin öffnen und füllte mit dem Wasser
die goldene Flasche und sagte: "Nun, du Königssohn, dieses Wasser,
das am Felsen der Ewigkeit entspringt, hat die Kraft: wenn jemand auch
schon vier- oder fünftausend Jahre tot war, und du erhaschst nur
ein Knöchelchen von ihm und besprengst es mit diesem Wasser, so erwacht
er auf der Stelle in blühender Kraft."
Der Königssohn dankte der Königin der Unsterblichkeit für
ihre Geschenke; dann nahm er Abschied von ihr und der ganzen Burg und
machte sich auf den Weg.
Sogleich gelangte er in die Stadt, wo die Nebelschleier stickende Prinzessin
gewohnt hatte; aber kaum erkannte er den Ort, so sehr war alles verwandelt.
Er ging eilends zur königlichen Residenz; aber dort herrschte eine
solche Ruhe, als wenn niemand darin wohnte. Er geht hinauf in den Palast,
und wie er in das Wohnzimmer kommt, findet er dort die Prinzessin, auf
ihre Stickerei gebückt und eingeschlafen; hübsch sachte schleicht
er hin, spricht zu ihr, aber sie antwortet nicht, zupft sie beim Rock,
aber sie bewegt sich nicht. Da läuft er hinaus in das Zimmer, das
voll mit Nadeln gewesen war, und nicht eine Nadel ist darinnen; auch die
allerletzte Nähnadel hatte die Prinzessin beim Nähen zerbrochen,
und dann war die Prinzessin gestorben.
Geschwind nimmt er seine goldene Flasche, besprengt daraus die Prinzessin.
Da erwacht sie zum Leben; auf einmal hebt sie das Haupt, fängt an
zu reden und spricht zum Königssohn:
"O mein süsser Freund, wie gut, dass du mich geweckt hast. Ich
mag wohl lange geschlafen haben."
"Du hättest bis in alle Ewigkeit geschlafen," sagt der
Königssohn, "wenn ich dich nicht erweckt hätte."
Jetzt erst merkte die Prinzessin, dass sie tot gewesen war und der Königssohn
sie auferweckt hatte; sie bedankte sich sehr schön und versprach,
ihm Gutes mit Gutem zu vergelten.
Nachdem der Königssohn von dort Abschied genommen hatte, ging er
geradewegs zum kahlen König; und schon von weitem sah er, dass er
den grossen Berg ganz abgetragen hatte. Sobald er dort anlangte, sah er,
dass der König den Korb unter das Haupt geschoben, den Spaten und
die Haue neben sich hingelegt hatte und gestorben war. Geschwind zog er
auch hier seine goldene Flasche hervor, besprengte damit den kahlen König
und erweckte ihn zum Leben wie vorhin die Prinzessin. Auch dieser versprach,
ihm Gutes mit Gutem zu vergelten, und der Königssohn verabschiedete
sich von ihm und ging zum Adlerkönig, und der Adlerkönig hatte
den grossen Baum von der Wurzel bis zum Wipfel so zusammengerüttelt,
dass auch vom allerkleinsten Zweig nichts mehr zu hören und zu sehen
war; er selbst aber hatte die Flügel ausgebreitet, seinen Schnabel
zur Erde gesenkt und war tot; sogar die Fliegen umsummten ihn schon. Der
Königssohn zieht erst die goldene Flasche vor, begiesst damit den
Adlerkönig; da erwacht auch dieser, kommt zu sich und beginnt zu
sprechen:
"Ach, wie lange habe ich geschlafen! Ich danke dir, dass du mich
wecktest, mein lieber, guter Freund!"
"Du würdest bis in alle Ewigkeit geschlafen haben," sagt
der Königssohn, "wenn ich dich nicht erweckt hätte."
Jetzt merkt der Adlerkönig, dass er tot gewesen war. Er erinnert
sich des Königssohns und dankt ihm, dass er ihn auferweckt habe,
und verspricht, Gutes mit Gutem zu vergelten.
Danach nimmt der Königssohn auch vom Adlerkönig Abschied, macht
sich auf und gelangt bald zu seines Vaters Königsstadt; aber schon
von weitem bemerkt er, dass die königliche Residenz versunken ist,
keine Kunde, kein Stäubchen davon ist übrig geblieben. Er geht
näher darauf zu, und da war ein Schwefelsee aus ihr geworden, der
mit blauen Flammen brannte wie guter Pflaumenbranntwein. Da gab der Königssohn
alle Hoffnung auf, dass er irgendwie seinen Vater und seine Mutter auffinden
könne, und trat voll Kummer den Rückweg an; aber wie er da aus
der Stadt schreitet, ruft ihn jemand von hinten mit diesen Worten an:
"Halt, Königssohn, du bist am rechten Platz. Es sind just tausend
Jahre, dass ich dich unaufhörlich suche." Der Königssohn
schaut sich um und erkennt, dass der, der ihn angerufen hat, der alte
Tod ist. (Zum Kuckuck mit ihm!) Geschwind dreht er den Ring an seinem
Finger, und wie der Gedanke so schnell ist er beim Adlerkönig, von
da beim kahlen König, von dort bei der Nebelschleier stickenden Prinzessin;
jeden heisst er, die ganze Heeresmacht bereit halten, um den Tod aufzuhalten,
bis er bei der Königin der Unsterblichkeit angelangt sein kann. Aber
der Tod galoppierte überall so schnell hinter ihm drein, dass, als
der Königssohn seinen einen Fuss in die Burg der Königin der
Unsterblichkeit setzte, der Tod den anderen draussen ergriff mit den Worten:
"Halt! du bist mein!"
Das sah die Königin der Unsterblichkeit, und sie rief von ihrem Fenster
hinunter und schalt den Tod, was er in ihrem Reiche zu suchen habe, da
dort seine Macht ein Ende habe.
"Allerdings!" sagt der Tod, "aber sein eines Bein ist in
meinem Reich; das ist mein."
"Allerdings, aber jedenfalls ist er zur Hälfte mein," sagt
die unsterbliche Königin, "und was hättest du davon, wenn
wir ihn teilten. Die Hälfte von ihm kann weder mir noch dir taugen.
Aber ich sage dir: komm herein zu mir, ich erlaube es jetzt, und hier
werden wir beide die Sache mit einer Wette ordnen."
Der Tod ging darauf ein, kam in die Burg der Königin der Unsterblichkeit,
und die Königin schlug ihm vor, dass sie den Königssohn hinauf
werfen werde, geradwegs bis in den siebenten Himmel, hinter den Rücken
des Morgensterns, und wenn sie ihn so hinaufschleudern könne, dass
er in der Burg niederfällt, dann sei er der Königin; wenn er
hingegen jenseits der Burgmauer niederfalle, so gehöre er dem Tode.
Der Tod ging auf diese Wette ein. Nun stellte die Königin den Königssohn
in die Mitte der Burg, zwängte ihren Fuss unter die Füsse des
Königssohns und schleuderte ihn so hinauf zwischen die Sterne, dass
er sich dort ganz verlor; aber bei der Anstrengung taumelte die Königin
ein wenig und erschrak sehr, dass nun der Königssohn ausserhalb der
Burg niederfallen werde; sie lauerte also eifrig, dass der Königssohn
wiederkehre. Auf einmal erblickt sie ihn wie eine kleine Wespe; sie misst
mit dem Auge, wo er wohl sei, wo er wohl niederfallen würde; wahrhaftig!
gerade auf die Burgmauer! - durchfährt es die Königin. Aber
ein kleiner Südwind hat doch so viel genützt, dass der Königssohn
hart an der inneren Seite der Burgmauer niedergefallen wäre, hätte
ihn die Königin nicht aufgefangen. Schnell sprang die Königin
hinzu und wie einen leichten Ball fing sie ihn auf, trug ihn in ihren
Armen ins Schloss, und wie sie sah, dass ihm ein wenig schwindelte, küsste
sie ihn, dass er wieder zu sich komme. Nun befahl die Königin ihrem
Hofgesinde, dass es alle Besen hervorsuchen, sie anzünden, und mit
Feuerbesen den Tod aus der Burg der Königin der Unsterblichkeit hinauspeitschen
sollten, und gebot ihm, dass er ferner nicht wagen solle seinen Fuss dahin
zu setzen. Der Königssohn und die Königin aber leben glücklich
und in Freuden bis heute. Wer es nicht glaubt, der suche das Schloss der
Königin der Unsterblichkeit auf, das am Ende der Welt in den Wolken
über dem Fluss schwebt, und wenn er es erwischt, so wird er sofort
von der Wahrheit des Märchens überzeugt sein.
Quelle: Elisabet Sklarek, Ungarische Volksmärchen, Leipzig 1901, Nr. 1